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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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die müssen also halbgebückt die Furchen entlanggehen, und kaum haben sie eine Furche erledigt, kommt schon der Trecker zurück und schmeißt neue Kartoffeln raus. Damals ging der Schwindel schon los mit der Vereinheitlichung der Kartoffelsorten«Hansa»und«Grata». Seit 20 Jahren habe ich keine vernünftige Kartoffel mehr gegessen. Früher schmeckten sie wie Marzipan.
    Horst Janssen:«Hinkepot». - Das war die«Tadellöser»-Zeit und:«Die Jahre, die ihr kennt»von Rühmkorf und andere: eine große Synchron-Komposition herstellen all dieser Bücher, parallel lesen. - Über Janssen sah ich mal einen Film, wie er auf dem Fußboden liegt und Grafiken signiert. Die hübschen Mädchen, die er immer hat. Hildegard meint, wenn einer reich ist, gelingt
ihm das, sonst kämen die Mädchen nicht. Ein Mann in dem Alter müsse den Frauen was bieten können. - Meint sie mich irgendwie damit?
    Dorfroman: Heute früh sah ich, daß die Glucke mit ihren Küken zum ersten Mal bei den Großen auf der Stange saß. Es war ein Sicherheitsabstand zwischen den zwei Parteien.
    Die Flüchtlinge in der ungarischen Botschaft hätten diplomatische Aktivitäten«auf den Plan gerufen», heißt es.
    Ein Kamera-Team folgte einer kleinen Gruppe von Grenzübertretern, die durchs Feld krochen, z. T. auf allen Vieren. Die Kamera war zeitweilig auf das Hinterteil der Krabbelnden gerichtet. -«Mein Krabbeln in die Freiheit», ein Erlebnisbericht. - Irgendwo wurden solche Krabbelmenschen auch schon mal unter Feuer genommen. Wenn sie’s denn geschafft haben, der Jubel, das treibt einem ganz automatisch die Tränen in die Augen. Im Aufnahmelager sitzen sie an langen Tischen. Reiner Kunze war zu sehen, wie er sich zu ihnen setzt - unter den Augen der Kamera - und ihnen gut zuredet: Es wird schon werden.
    Die Kleiderverteilungen. Manche wissen ganz genau, was sie wollen.

Nartum
Di 15. August 1989
    Bild: Unglaublich/Unsere Budapester Botschaft warf DDR-Bürger raus
    ND: Spitzen im Wettbewerb zum 40. Jahrestag der DDR / Erfurter Mikroelektroniker übergaben Muster von 32-bit-Mikroprozessoren
     
    T: Sehr langer Traum. Ich sitze wieder im Zuchthaus und habe 25 Jahre und erkundige mich, wann ich entlassen werde. Die Antworten sind entmutigend.
     
    Heiß. Hildegard hat es jetzt mit Pasten. Der ganze Tisch steht voll kleiner Büchsen und Tiegel mit Pasten vegetarischer Art.

    Dazu dunkelblaue Gesundheits-Chips, eine Art Dachpappe, in der sich festere Substanzen finden, was beim Beißen unangenehm ist.
    Sich auf seine Frau stützen können. - Türkisches Brot und irische Butter - ich fraß mich mal wieder richtig satt. Die Pasten ließ ich außen vor.
    Es ist hier ganz unbekannt, daß es die Engländer und Franzosen nach dem Krieg in ihrem Land nicht sehr bequem hatten. Die Pariser haben im ersten Befreiungswinter erbärmlich gefroren und auch gehungert.
    «Echolot»: Ich hab’ mich heute wieder mit dem 20. April’45 beschäftigt, Hitlers Geburtstag, der Versuch einer Lagebeschreibung im noch unbesetzten Deutschland und andere isolierte Themen. Es sind jetzt 40 Seiten. - Im April’45 war ich noch in Berlin. Ich kann mich aber an den großen Bombenangriff vom Zwanzigsten gar nicht erinnern. Am 21. April verließ ich die Stadt.
    In«Zettels Traum»geblättert. Die Widerstände zur Lesbarkeit. Schon mal das Format. Wir müssen das beim«Echolot»vermeiden, so verlockend es auch ist. Die Zweispaltigkeit lauert auf dem Wege. Woodstock-Gequatsche. Ich habe damals von all dem nichts mitgekriegt, ich habe Kinder unterrichtet und den«Block»geschrieben.
    Eine Dame schickte mir einen Brief vom 2. Juli 1933. Wie sich damals die Schüler um politische Aussagen herumdrücken mußten, geht daraus hervor:
    Mit dem Wetter ist das überhaupt so eine Sache. Das hängt mit meinem Hausaufsatz zusammen … Unter vielem Gedruckse hatte ich schließlich etwas zu dem Thema«Der Staat und der einzelne»aus mir herausgequetscht. Über dergleichen in dieser Zeit zu schreiben, ist bei meinen Ansichten jedoch nicht so ganz«ohne», da die Aufsätze beim Abitur vorgelegt werden und man nie wissen kann …

Nartum
Mi 16. August 1989
    Bild: Die Verzweifelten in Budapest/Bild-Soforthilfe: Plötzlich reagieren alle/Botschaft stellt wieder Pässe aus/Die Lagerstadt wächst weiter/Gulasch-Kanonen für Hungrige/Warum dementiert Sudhoff?/Wo sind Heike und Henning, Herr Honecker?
    ND: Auf der bevorstehenden Leipziger Herbstmesse / Umfassendes Angebot für flexible Automatisierung
     
    Ich bin

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