Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
ordentlich, weil ich unordentlich bin.
    Ich mußte die«Tage des Überlebens»von der Boveri neu kaufen, weil früher einmal verliehen und nie wiedergekriegt. Sie meint, deutschen Lesern ihre Brief-Texte von 1945 unkommentiert nicht zumuten zu können, die Russen kämen sonst zu schlecht weg. Ursache und Wirkung. Na also! Sie scheint nicht mit urteilsfähigen Lesern zu rechnen. Alle Augenblicke werden ihre Notate von langen Kursiv-Absätzen unterbrochen. Sie will den Leser nicht allein lassen, sagt sie, das wär’ ein Risiko. Du lieber Himmel, er könnte ja auf Gedanken kommen. Aber still! Sie hat mal eine gute Kritik über eines meiner Bücher geschrieben,«Haben Sie Hitler gesehen», glaube ich, das hat sie gelobt. - Uwe Johnson war dicke mit ihr. Der hatte es überhaupt mit den älteren Damen. - In New York hat er mich mal weitergereicht. Die Dame dort hat aber schnell von mir abgelassen.
    Ein Film über Parfüm-Riecher. Dauernd schnuppern sie, halten sich sonderbare Fächer unter die Nase und wedeln damit herum. - Aber wir haben nichts davon. Neulich wollte ich ein Stück Palmolive-Seife kaufen, weil mich der Geruch an«früher»erinnert - gibt’s nicht mehr.«Die gab es früher einmal», sagte die Verkäuferin. Eben. Nostalgisches Parfüm müßten sie herstellen, bei dem einem sofort das«Tantchen»einfällt, mit Spitzendeckchen auf dem Kopf, in ihrem Biedermeierzimmer. Oder«Warnemünde 1936». Oder«Brennende Stadt». In Altersheimen würde sich vielleicht auch ein Parfüm«Mundgeruch»gut verkaufen.

    Ich spielte die Jagdsonate, in Erinnerung an Herrn Sowtschick.
    Der Munterhund hörte sie sich an, leckte seine Pfoten. Neulich hörte ich sie portato gespielt, ging auch.

Nartum
Do 17. August 1989
    Bild: Die Flüchtlingstragödie / Kohl flehte - Honecker brutal:«Nein»
    ND: Der Staatsplan bei Getreide wurde erfüllt
     
    Hamburg. Im Bratwurstglöckle gegessen: 18,60 Mark!
    «Kegeln Sie mal wieder im Bratwurstglöckle», steht auf der Speisekarte. - Hinterher alles wieder ausgekotzt: Der Magen reagiert vorwurfsvoll. - Mit einem Herrn kam ich ins Gespräch,«Tadellöser & Wolff»usw. Die Filme, wie mir die gefallen haben, wollte er wissen.«Mitspracherecht», all diese Sachen. Ich horchte ihn wegen meiner Planktons aus. Ich erklärte ihm sogar, wozu ich sie brauche und warum ich sie sammle. Das wunderte ihn überhaupt nicht.
    «Ich danke Ihnen, mein Herr.»
    Im übrigen war es komisch, wie er seinem Begleiter in meinem Beisein erklärte, wer ich sei, und diese Erklärungen gab er in meine Richtung ab, so als müsse er eine Prüfung bestehen.
    Das Bratwurstglöckle ist mir aus einem besonderen Grund sympathisch, hier läßt man mich ohne jede Beanstandung in Ruhe urinieren: Es gibt mehr Museen in Hamburg und Jugendzentren als öffentliche Bedürfnisanstalten.
    Antiquariat. Allerhand für’s«Echolot». Manchmal ziehe ich ein Buch heraus und denke: Wenn du das nicht schon hättest, würdest du dich jetzt aber freuen.
    Farbkopien: 40 Mark!
    Wir kauften in einem Delikatessgeschäft ungenießbare Nahrungsmittel ein. Ranziges Schweineschmalz, Gänseschmalz mit kleinen Käsestücken, eisenharte Blutwurst ohne jeden Geschmack
(oh! Thüringen!), zu frischen Appenzeller, saures Brot. - Und diese Leute, wenn sie eines Tages Pleite machen, wundern sich dann auch noch. Da gehe ich doch lieber zum Türken um die Ecke, da kriege ich alles, was ich brauche, schmackhaft und frisch. Gewürze scheinen die Deutschen überhaupt nicht mehr zu kennen. Für Gewürze haben ganze Generationen ihr Leben gelassen. Kleine Marmeln für die Kugelbahn, sogenannte«Kittscheißer», gibt es nicht mehr.
    Ein Herr stoppte mich auf der Straße und fragte nach dem Katrepel, wo der Katrepel ist? Woher soll ich das wissen? - Was ist ein Katrepel? So eine Art kafkasches Odreldok? - Im Grimmschen Wörterbuch steht’s nicht drin. Lassen wir es also auf sich beruhen.
    In einer Buchhandlung fand ich ein Portemonnaie, ich gab es ab. Der Herr, der es liegengelassen hatte, ein Engländer, kam aus dem Inneren der Buchhandlung gelaufen, hatte es wohl gerade vermißt und beobachtete mich argwöhnisch, was ich da mit seinem Portemonnaie mache …
    Auf der Autobahn von Hamburg hierher in Kolonne gefahren. Auf der Gegenseite fuhren sie ebenfalls zweispurig. Ich habe mal gedacht: Auf ein Zeichen hin müßten mal alle Autobesitzer Deutschlands ins Auto steigen und losfahren. Was dann wohl auf den Straßen los ist. Dadurch könnte man dem Verkehrsminister ganz

Weitere Kostenlose Bücher