Alkor - Tagebuch 1989
Kassettenrekorder hat. CD-Spieler hingegen sind bestimmt nicht so verbreitet. - Hinterher wurde ich in den Keller gebeten, um vor der Fernsehkamera ein Statement über deutsche Soldaten abzugeben. Deutsche Soldaten? Was er damit meine? fragte ich den jungen Redakteur. Ich hätte die verschiedensten Erinnerungen an deutsche Soldaten, an meinen Vater z. B., in Offiziersuniform, das Neue Testament in der Tasche, an die ausrückenden
Familienväter, an Urlauber, an die Freunde meines Bruders, an Verwundete mit«Stuka»und an die vor den Russen flüchtende Armee in Rostock.
Engert, der die Sendung macht, sagte mir nicht etwa«Guten Tag», sondern blieb in einer Ecke stehen, und guckte sehr interessiert in einen Schaukasten.
2000: Natürlich wurde mein Beitrag nicht gesendet. Hätte ich gesagt: Die deutschen Soldaten habe ich nur als Verbrecher kennengelernt, dann wäre ich voll rausgekommen.
Die Ausstellung im Keller war ganz interessant. Alle Exponate waren mir aus der Nazi-Zeit selbst unbekannt. Außer den Spielsoldaten und dem sogenannten«Führer-Mercedes», mit dem ich selbst unter dem Weihnachtsbaum hin- und herrangiert habe. Blechpolsterung, gerippt, mit Löchern, damit man den Führer reinstecken konnte. - Eine Wand mit Nazi-Ausweisen imponierte mir: Faustkämpferausweis. Ich sagte zu Stölzl, daß ein größeres Ausstellungsstück gefehlt hätte, eine Bombe vielleicht oder eine Nazi-Skulptur. So ging man von Plakat zu Plakat. Stölzl hinterher, aufgeräumt und heiter. Wir saßen noch lange beim Italiener, was 320 Mark kostete, die natürlich ich bezahlte. Eine der eingeladenen Damen sagte am Schluß:«Ich möchte noch einen Pudding.»
«Herr Ober! Noch einen Pudding für die Dame!»
Stölzl erzählte ganz interessant vom Bundeskanzler, den er schätzt, wie er sagte. Interessant wäre, daß man ihm finanzielle Raffgier oder Frauensachen absolut nicht vorwerfen oder nachweisen könnte. Alle möglichen Journalisten hätten schon herumgeschnüffelt, aber keinerlei«Verfehlungen»herausgekriegt. Ich bin mit ihm einer Meinung, daß eine pfälzische Frohnatur für uns besser paßt als ein Preuße.
Heute fuhren wir zur Mauer und gingen ein Stück an dieser Orwell-Sache entlang. KF hatte die richtige Stelle ausgesucht. Leider gingen wir in falscher Richtung, gegen den Strich. Ich stand eine Weile allein auf dem Aussichtsturm und kämpfte mit Dankbarkeitstränen.
Ich empfand den Ort wie die Stelle, an denen siamesische Zwillinge zusammenhängen. Die chaotische Unordnung der Mauer auf unserer Seite, mit Bemalungen, Unkraut und verworfenem Pflaster, steht im Gegensatz zum geharkten Schußfeld drüben. - Eine Türkenfrau, die Brennesselblätter sammelte. Eine zugemauerte Kirche.
Die Texte an der Mauer sind meist unverständlich, weil übereinandergeschrieben, aber auch in Generationscodes. Viele Augen, auch Liebeserklärungen. Viel Fremdsprachliches.
Am Checkpoint Charlie (der Name auf angenehme Weise amerikanisch-salopp), das Museum mit den Fluchtmaschinen. Hier herrschte eine bemerkenswerte Stille, die Menschen flüsterten wie in der Kirche. Am Brandenburger Tor sah ich drüben Menschen stehen. Uns graute vor der Wut, die sich hier staut. Mit Renate erwog ich, mit der Video-Kamera einmal an der Mauer in ganzer Länge entlang zu filmen.
Aus Hildegards Tagebuch:
Wir bewohnen ein fürstliches Appartement in einer Riesen-Villa, Berlin, Königsallee 20! (Wissenschafts-Kolleg) W. gestern abend um 22 Uhr:«Ich hab’ schon einen Horror vor dieser Bude! Sicher gibt’s keinen Fernseher.»- Dann doch zufrieden, weil drei Zimmer zur Verfügung, für jeden allein: Renate war dabei. - Herrliche Ruhe und gute Luft bei offener Tür. Blick auf Wasserfläche durch sanft bewegtes Laubgezweig. Blutbuche, Ahorn-viel Baum: Grunewald? - und Luxus-Wohnblocks. Wir hier im vierten Stock. Viel Plastik am Bau: ocker.
Die gestrige Lesung von Erich Kuby, traurig, beschämend? Er empfand bei«Stalingrad»nicht Mitleid wie seine Frau, sondern Scham - das mag für ihn damals stimmen als Mitmarschierender -. Er wollte nur überleben, konnte es nur durch das Schreiben. Von 2000 Kameraden, mit denen er es eng zu tun hatte, blieben sechs, denen er vertrauen konnte, die übrigen entwickelten sich in der Zeit mit dem Regime zu Bestien. So wäre das die Relation für den Menschen schlechthin - 2000:6, böse:gut?
Seine Begegnung mit Romain Rolland - nichtssagend, selbstbeweihräuchernd. Er hat ihn in Bezug auf Beethovens späte Musik durch
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