Alkor - Tagebuch 1989
dürfe, dann seien die unheimlich sauer. Er will wissen, wohin ich gehe, wenn ich pensioniert werde!
Ich arbeite jetzt parallel an«Sirius», an«Echolot»und an«Mark und Bein». Der«Dorf»-Roman liegt in den ersten Seiten vor,«schmort».
Zum Gegenstand eines Preisausschreibens gemacht zu werden, in einem Kreuzworträtsel vorkommen. Das ist eigentlich mehr, als man erwarten kann.
Ich schenkte den Kindern vor einigen Jahren Afrika-Ringe, ähnlich dem meinen. Jetzt erst tragen sie sie regelmäßig. Mir ist meiner zu klein geworden, bzw. die Finger sind zu dick.
Ungutes Gefühl bei nochmaligem Lesen der Chronik, oft schlapp-schlapp. Das müßte alles noch einmal gemacht werden. Eine junge Frau aus der DDR gestern in der Lesung, aus Güstrow.
Sie sei beim Anblick der Käseauswahl im Aldi-Markt zusammengebrochen, wurde erzählt.
Vorgestern nach der Lesung stellte mich ein bärtiger junger Mann. Er sei Sprecher der Grünen. Ja. Beruf hat er keinen. Ob ich nicht mal im Bürgerzentrum auftreten will? Ich: Ich bin ja jetzt hier! - Meine Bücher wären wohl mehr was für alte Leute? - Ich: Das sind doch auch Menschen, ja? - Er wolle in den Kulturbetrieb etwas mehr Zug kriegen. Er sollte lieber für etwas mehr Hirn bei sich selbst sorgen. Eigenartig, daß sich die Menschen die Hände nicht besser waschen, wenn sie wissen, daß sie einem Schriftsteller die Hand drücken wollen.
Gestern eine Frau, ja sie stamme aus Masuren, und sie habe eine Reise dorthin gemacht, und dann habe sie den Trümmerhaufen des elterlichen Schlosses gesehen, und da sei sie richtig froh gewesen, die Sache sei erledigt, aus, vorbei. - Es gibt auch andere Heimweh-Touristen, diese Leute, die sich vor lauter Völkerfreundschaft noch dafür bedanken, daß man das väterliche Haus geplündert und in Klump geschlagen hat. Ob ich nicht auch meinte, daß Rostock in den letzten Jahren sehr gewonnen habe? Alle Häuser frisch angestrichen und überall kleine Lokale, richtig allerliebst. Sie habe dort nach Flucht usw. Theologie studiert, doch das nur nebenbei … Selbige Dame erregte schon gleich am Anfang meinen Unwillen, weil sie mich fragte, wo ich aufgewachsen sei.
Mit Raabe beschäftigt. Asthma. Hesse bezeichnet ihn als verschlagen. - Tritt aus der Tür und ruft: Grethe, kommst du mal eben? 50 Jahre lang Tagebücher geschrieben, die unveröffentlicht blieben, da er irgendwann mal gesagt oder geschrieben hat, sie seien nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Es stehe nichts besonderes drin, wird uns mitgeteilt. Aber er hat doch 50 Jahre lang … Vielleicht werden sie eines Tages trotzdem erscheinen, wenn es dann man nicht zu spät ist. Das Interesse an seiner Arbeit ist wohl nicht mehr sehr groß. - Wer die Beschreibung Hesses gelesen hat, von seinem Besuch bei Raabe, muß ihm vieles abbitten. Beiden.
Nartum
Mo 18. September 1989
Bild: Minister Schäubles Referentin im Wald vergewaltigt
ND: Hohe Leistungen an jedem Tag für bewährten Kurs der Hauptaufgabe
Diese Scheinheiligkeit: Mir werfen sie vor, ich publizierte in demselben Verlag wie Leni Riefenstahl. Hoffmann & Campe gibt die Tagebücher Goebbels’ heraus. Ob sich Lenz auch die entsprechenden Vorwürfe anhören muß?
Leute, die mich noch auf ein Bier mit in ihre Wohnung schleiften, mit Araber-Gewehr-Nachbildung an der Wand und Blumen im Puppenwagen, erzählten von ihren Tieren. Ein Spatz, der ein Violin-Konzert pfeifen konnte und alles nachmachte, ja sich abends regulär schlafen legte, auf die Seite, wie die Menschen. Wenn einer ein Buch las, auf die Buchstaben pickte. Eines Tages flog ihnen ein Papagei zu; ein Kaninchen, das am Gitter rammelt, wenn sie nach Hause kommen. Ein Hund, der sich beleidigt zurückzog, wenn man sagte:«Wir gehen einkaufen!», und sich dann nicht trösten (streicheln) ließ. Und so weiter. Ich war zu müde, um sie noch zu weiteren Erzählungen anzustacheln. - Was wissen wir denn von den Tieren! Ein zweites Leben nur noch den Tieren widmen.
Raabe-Briefe von 1870, er zieht gerade um, als der Krieg ausbricht. Liest sich ganz passabel.«Altershausen»allerdings leider ungenießbar.
Nartum
Di 19. September 1989
Bild: Helft! Wir sollen sterben/Die geretteten Hundebabys von der Fähre
ND: 12 000 Westberliner ohne Dach überm Kopf
Fullbright-Stipendiaten, über Oral-History, besonders«Haben Sie Hitler gesehen?». Ich befragte sie nach ihren ersten Eindrükken
von Deutschland. Nette, freundliche Leute, auch ein Kommunist dabei, er sagte, die
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