Alkor - Tagebuch 1989
Fünf-Prozent-Klausel in Deutschland sei undemokratisch, Stammheim desgleichen (Ich:«Haben Sie schon mal ein Gefängnis in den USA gesehen?»), die Volkspolizisten sähen doch ganz nett aus in Berlin. Eine Studentin:
Mein erster Eindruck von Deutschland war die Überraschung, die ich bekam, als ich in München die Zeitungen«Bild»,«Abendzeitung»und«tz» überall sah. Vielleicht klingt das ein bißchen komisch, aber in der Schule habe ich als Deutschstudentin Kafka, Büchner, Goethe und solche anderen Autoren gelesen. Als Cellospielerin waren meine Lieblingskomponisten Bach und Beethoven. Deshalb habe ich an Deutschland als das Land der Kultur gedacht. Aus diesem Grunde habe ich ganz etwas anderes von Deutschland erwartet. Das war natürlich naiv, aber na ja. Ich habe geglaubt, daß viele Deutsche Intellektuelle wären. Oder mindestens würden sie irgendeine Verbindung mit der Kultur aus Deutschlands Vergangenheit haben. Meine Enttäuschung war ziemlich groß, als ich erfahren habe, daß die Deutschen nicht intelligenter als die anderen Leute waren. Axel Springer ist wichtiger für die normalen deutschen Menschen als Kleist oder Grass. Das habe ich traurig gefunden, aber ich hätte nichts anderes erwarten sollen.
Im Osten gibt es noch 163 000 vermißte deutsche Soldaten, über die nichts bekannt ist. Überlegungen, ob so was nicht auch ins«Echolot»aufgenommen werden müßte? - Wär’ auch ein guter Romanstoff, das Leben eines Vermißten.
Ich lief in Frankfurt herum und suchte schwarze Schuhe, Größe 39. Leider selbst in Spezialgeschäften nicht vorrätig. Dafür konnte ich drei sogenannte«Sakkos»kaufen und drei Hosen, die ich dringend brauchte.
Jetzt bin ich auf dem Wege nach Mannheim, dort werde ich mich nochmals nach Schuhen umsehen.
Allgemein bin ich bei Schülern unbekannt. - Die befassen sich immer noch mit Böll. Von mir geht die Meinung um, ich sei ein leichterer Unterhaltungsschriftsteller, nicht so ganz ernst zu nehmen. Andere halten mich für reaktionär. Böll ist ja wohl ein grader
Charakter gewesen, für die Verödung des Deutsch-Unterrichts kann man ihn nicht verantwortlich machen. Solschenizyn, August 1914. Unlesbar. - Er kann es immer noch nicht begreifen!
Ich sitze auf der Terrasse in warmer Sonne zwischen brüllenden Senioren. Eine Seniorin zeigt Fotos herum von ihrem Mann.«Blaue Augen, was?»fragt ihr Gegenüber. - Von hinten wird eine ganze Geschichte geschrien:«Nein, Oma! sagte er, gegessen wird hier und ferngesehen da ! Wenn du essen willst, mußt du hierher gehen, sagte er…»- Ein Herr erklärt zwei Damen, daß er eine Parabol-Antenne von 60 Zentimeter Durchmesser hat, damit könne er alles sehen, wirklich alles. -«Mutti, du mußt mir das nicht mehr sagen, ich geh’ ja schon auf die 40 zu …»-«Der Großvater meines Mannes war da, der Bürgermeister - Kronlechner? -, die kannten sofort den Namen. Und mein Mann, der hat sich sein Studium und alles selbst erarbeitet…»-«Das Bad, so liebevoll mit Röschen …»-«Ich sagte, du kannst aufhören, du kannst weitermachen, was du willst, du kannst MTA werden und was du willst, aber du mußt sagen, was du machen willst. Und sie - nö, oh, ich weiß auch nicht.»-«Sie essen keinen Kuchen? Nein? Doch? Ach: ‹gern› haben Sie gesagt, ich dacht’s, das wär Ihr Dialekt,«keen Kuchen»oder so …»-«Unsere Enkelin, wo hier die Karnevalsuniform anhat …»-«Die kriegen nur Rindfleisch, Steaks, und die Kleine hat 65 Stofftiere.»-«Aber sie ist ja ein Drachen, die junge Frau … Irgendwas muß ihn gefesselt haben an ihr.»-«Ich sag’ zu meinem Mann: Woll’n wir uns nicht doch scheiden lassen, da sagt er, was besseres find’ ich nie. Wenn man sich gestritten hat. - Wenn ein Mann gut und ehrlich ist und was zu bieten hat, dann sagt sich die Frau: Ja, könnte man. Eine Frau muß eben mehr Seele bieten.»-«Ich kann nicht sagen, daß ich von meiner Rente nicht leben könnte. Aber ich könnte zum Beispiel kein Auto fahren. Und dieses furchtbare Rechnen immer …»
Nartum
Mi 20. September 1989
Bild: Die Hundebabys müssen sterben/Momper will Wohnungen im Osten bauen
ND: Ehrenbanner für beste Kollektive im Wettbewerb zum 40. Jahrestag der DDR
Immer noch warm.
Heute war ich in Hamburg, hatte mich gottlob nur leicht angezogen, es war sommerlich warm. Im Bücherkabinett fand ich allerhand für das«Echolot». Ich dachte immer, daß es viel mehr Tagebuch-Veröffentlichungen gäbe, man sieht kaum etwas. Das ist doch
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