Alkor - Tagebuch 1989
eigentlich sehr sonderbar. Bücher wie das eigentlich recht unerträgliche von der Kardorff sind Mangelware. Nun müssen wir wohl in die Bibliotheken steigen, eine unangenehme Sache, obwohl ich doch nach Hannover gute Beziehungen habe, habe ich Hemmungen. Auch schlechte Erfahrungen sind zu verbuchen. Lange Bücherlisten eingesandt, und nie wieder was davon gehört. - Die Kardorff hat offenbar ihr Tagebuch«geschönt». Das Verändern eines Tagebuchs muß nicht immer ein bedenkliches«Schönen»sein, man könnte es auch ein«Ausführen»oder«Vertiefen»nennen. Widerwärtig ist es, wenn Herausgeber es sich anmaßen, Tagebuchtexte zu kürzen.
Die fleißige Simone ist da, sie schafft die Post weg. Ich hätte nie gedacht, daß mich Post so in Panik versetzen könnte. Es gab doch mal eine Zeit, in der man sich über Post gefreut hat. Oft habe ich beim Öffnen eines Briefes Herzklopfen. Ich stelle mir vor, daß darin irgend etwas Unangenehmes steht.
Die Innenstadt war übrigens sehr belebt, ich setzte mich in ein Straßenrestaurant und bemerkte zu spät, daß es sich um ein italienisches Lokal handelte: saure Tomatensuppe mit angetrockneten Tropfspuren am Tellerrand und Nudeln, bei denen ich nicht klären konnte, warum die eigentlich grün waren. Dann schon lieber blaue, würde ich sagen.Wie heißt noch diese italienische Matsche, die alle Norddeutschen so gerne essen?
Ich jagte nach Hause und hörte im Auto einen interessanten Vortrag
über die Brandenburgischen Konzerte. Der Musikwissenschaftler Best sprach von«biegsamen»Blockflöten, ein origineller Ausdruck, und er erklärte, wie sorgfältig Bach die Solisten aufeinander abgestimmt habe. Dazwischen Demonstrationstakte, die ich nicht kapierte, wußte immer nicht, was er nun gerade meinte. Aber immerhin.
Adorno behauptet ja, daß es mehr weltliche als geistliche Kompositionen von Bach gäbe. Er will damit irgendwas beweisen. Best behauptet das Gegenteil. Was ich nicht wußte: Erst Albert Schweitzer hat die Brandenburgischen Konzerte wiederaufgeführt. Wenn ich nicht immer noch auf meinem Schostakowitsch säße, würde ich mich jetzt mit ihnen beschäftigen. Das 6. höre ich hin und wieder. - Bach habe zeitweilig in einem Biergarten musiziert! Auch das war mir neu. Und daß er der Erste war, der auch den Daumen beim Cembalieren verwendete. Es sei damals Praxis gewesen, den Daumen beim Spielen herunterhängen zu lassen. - Adorno nennt den Klang der Blockflöte«nackt». Habe heute in einer Schostakowitsch-Biographie geblättert. Die Porträtfotos. Er sieht so aus, als ob er die Luft anhält.
Das«Echolot»wächst, ich arbeite im Augenblick Texte in den Januar 1943 ein. Das Auschwitz-Kalendarium ist von größtem Wert. Einen Tag, bevor ich es entdeckte, dachte ich: So etwas müßte es geben! Vielleicht gibt es ja auch Verlustlisten der Deutschen Wehrmacht, wieviele täglich gefallen sind?
Morgen kommt eine Produzentin wegen einer TV-Serie über Tennis: Sie soll 64 Folgen umfassen. Ich habe ihr schon gesagt, daß nur eine Tennisspieler in in Frage kommt.
Zweite Auflage von«Hundstage»: Meine Korrekturen wurden nicht berücksichtigt.«Laß ihn man reden, er beruhigt sich wieder! »soll das wohl bedeuten. Paket von Elly Napp aus Hamburg, Briefe ihres Mannes, sehr wertvoll.
Folgende Bücher gekauft: Nicolson («Am Rande»); Buber-Neumann («Zeugin»); Schoenberner («Wir haben es gesehen»); («Die Stimmen der Menschen»); Montgomery (Memoiren); v. d. Lippe (Nürnberger Tagebuch-Notizen); Kempowski T/W, 1. Auflage
(40 Mark!); Vermehren («Reise»); Lommer («1000jähriges Reich»); Oppenhejm («An der Grenze des Lebens»); Adelsberger («Auschwitz»); Langbein («… nicht wie die Schafe zur Schlachtbank»); Pless-Damm («Weg ins Ungewisse»); Walde: («Guderian») = 326 Mark.
Nach der Lesung, beim Signieren, bleiben meistens noch junge Menschen stehen, sie lungern geradezu herum. Das sind diejenigen, mit denen man sich eigentlich beschäftigen müßte. Statt dessen sitzt man mit Honoratioren am Tisch, die einen fragen:«Hatten Sie Geschwister?»
Ekel vor Strumpfhosen. In der«Landshut»wurden die Passagiere damit gefesselt.
Taxifahrer:«Haben Sie ein Kärtchen von sich?»-«Wieso?»-«Die Zentrale sagte, Sie sind ein begabter Mann.»
Neulich traf ich auf einen Taxifahrer, der meinen Bruder mal gefahren hat.
Nartum
Do 21. September 1989
Bild: Schweden-Konzern gibt nach/Hundebabys dürfen leben/ Tragödie bei HSV - Werder/Nationalspieler Jakobs im Tor
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