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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Zuckerpott gefehlt, so was störe sie. Brachte, ganz originell, statt Blumen einen Spezialblumenkohl für die Vase mit.

    Sie denken, ich verdiene mich dumm und dämlich, dabei pfeife ich aus dem letzten Loch.
    Es gibt jetzt in den USA Baby-Puppen für 220 $, die plötzlich zu schreien anfangen, sich einnässen usw. Es wird jungen Eheleuten geraten, sich so ein Dings zu kaufen, damit sie es sich überlegen, ob sie wirklich die Strapaze des Kinderkriegens bzw.
    -aufziehens auf sich nehmen wollen. Renate zu mir, als ausnahmsweise ich sie mal windelte:«Kannst’ das?»
     
    Rechnung über Seminar-Anzeigen in der«Zeit»: 342 Mark.
    TV: Daß sie mit den Leuten aus der DDR sehr zufrieden sind, sagen Handwerksmeister, und die Neuen sagen: daß das hier ein ganz anderes Arbeiten ist. Allerdings hätten sie sich drüben mehr Zeit gelassen, nicht so hektisch sei es drüben gewesen. Sie sagen auch, daß sie gutes Geld verdienen. Aber - vielleicht täusche ich mich - es ist etwas Angst in ihren Mienen, ob es auch richtig war? Vielleicht denken sie auch Tag und Nacht darüber nach, wie sie das neue Auto abzahlen können.

Nartum
Sa 23. September 1989
    Bild: BILD enthüllt/Deutsche Atombombe für Pakistan/Pläne und Material hingeschmuggelt
    ND: Zentrale Ausstellung«40 Jahre DDR»zeigt Bilanz erfolgreichen Wirkens
     
    Lesung im Heidemuseum Walsrode, 15 Uhr. Eine Lions-Sache! Dachte schon, ich müsse unter Hirschgeweihen sitzen, aber es ging noch an. Der Präsident hatte meine«Gattin»und mich vorher zum Tee gebeten, Hildegard zog es vor, zu Hause zu bleiben. Es muß ja auch schrecklich sein, immer dieselben Lesungen mitanhören zu müssen. Und sich dann hinterher noch etwas Ermunterndes abzubängen für den holden Ehemann. - Er hatte in seiner Einladung geschrieben, er möchte dem Publikum
den Blick in einen literarischen Spiegel gönnen, den ich ihm möglicherweise vorhalte. Wegen«Lions»zog ich mir idiotischerweise einen dunklen Anzug an.
    Hatte den Eindruck, daß mich kein Mensch kennt. Die Leute kamen eher freizeitmäßig. Einen schönen Parkplatz hatte ich, das muß ich wirklich sagen. Die wundersame Geldvermehrung. Wenn ich abfahre zur Lesung, finde ich meine Brieftasche entleert vor. Wenn ich wieder nach Hause komme, sind Hundertmarkscheine drin. Und wenn ich eine Woche später reingucke, herrscht wieder Ebbe.
    Noch in den Film«Heimat»reingeguckt, der wie Gummi in die Länge gezogen ist (II Folgen), er strotzt von Unwahrscheinlichkeiten. Deutlich nach dem T/W-Muster gewebt. Wenn man da überhaupt von«weben»sprechen kann. Im Weihnachtszimmer legt einer auf das Grammophon das Horst-Wessel-Lied auf! - Während die Familie Gänsebraten ißt, spielen zwei Kinder mit der Dampfmaschine (die Mutter schaut zu!). - Am Heiligabend sieht man ein Kind auf der Dorfstraße Schlitten fahren. Je mehr sich die Kostümierung bemüht, zeitgenössisch zu wirken, desto unmöglicher sieht es aus. Es gab doch damals auch schicke Mädchen! Und daß eine mit 16 Jahren zur Dauerwelle ging (im Krieg!), das war doch ausgeschlossen, das war doch mehr was für Damen.
    Der Garten verwildert. Einzelne, mannshohe Disteln schießen ihre Samen weg, das wird nächstes Jahr ein schlimmes Erwachen geben. Von einer Seite Rainfarn und Brennesseln, von der anderen die Disteln. Es fehlt nur noch das Franzosenkraut. Nächstes Jahr sollten wir uns einen sogenannten«Mann für den Garten»nehmen. Lieber«Deutschenkraut»sagen, statt«Franzosenkraut»; sonst kriegt man noch welche auf den Deckel. - Ich lernte mal eine Frau kennen, die Germania mit Vornamen hieß. Wenn die dann einen Mann namens«Deutsch»heiratet, würde ich denn doch einen Doppelnamen für angebracht halten.
     
    2000: So wie Frau Köpf-Schröder, die sich allerdings Schröder-Köpf nennt.

Nartum
So 24. September 1989
    Welt am Sonntag: Abgesandter Honeckers überraschend im Kanzleramt/SED -Chef sucht Lösung für DDR-Flüchtlinge in den Bonner Botschaften von Prag und Warschau
    Sonntag: Dramatisches Welttheater. Zur Eröffnung der Bauernkriegsgedenkstätte in Frankenhausen. Von Astrid Kuhlmey
     
    Der Freundeskreis der Freien Akademie Hamburg kam zum Kaffee, 30 Menschen. Wir saßen draußen! Berühmte Leute mit ihren Ehefrauen. Leider kam Zehnder nicht.
    Am Abend zur Ablenkung und zum Einschwenken Hustons Film«The Dead»gesehen. Wieder sehr erschüttert. Hildegard teilt meine Begeisterung nicht. -«Bräutlich geschmückt», von der Greisin gesungen. Der Regisseur, der früher ein rechtes

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