Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
geknüppelt/ Mit Schlagstöcken gegen Kind/Krenz bedauert
    ND: Egon Krenz zum Vorsitzenden des Staatsrates der DDR gewählt
     
    Vom Bett aus kann ich meine blau-gelb-rote Fahne sehen. Meistens plaudert sie vor sich hin. Manchmal lappt sie nur mal so ein bißchen, oder sie schläft. Die Farben sind wirklich sehr schön. Blau wie der Himmel, gelb wie ein Kornfeld, aber rot? Sagen
wir mal rot wie Klatschmohn. - An der SPD stört mich, daß sie sich mit«Genosse»anreden und sich duzen.
    Die Produzentin der Fernsehserie sagte übrigens, daß sie sich in den letzten 14 Tagen umgehört habe, und alle hätten ihr gesagt: Kempowski? Um Gottes willen, der Mann ist schwierig, und der liefert nicht! - Keine Ahnung, wie ich zu so einem Ruf komme. Ich bin vielleicht der einzige Schriftsteller, der alle Termine einhält.«Also, ich unterschreibe jetzt!»sagte sie und tat es. Und wir steckten den Scheck ein, ohne weiteres. - Als Fachberater für die Tennis-Serie will sie einen arbeitslosen Sportstudenten einstellen. Auf eine solche Idee ist schon mancher gekommen.
    «Reisende mit Traglasten», was früher an manchen Eisenbahnwaggons stand: Ich wußte nie, was das war. Ich stellte mir irgendwelche Tragbahren vor, ähnlich den eckigen Sitzen der vierten Klasse.
    Die Bayern sind Augenmenschen, die läsen nicht, sagte der Buchhändler in Dachau. Knaus: Piper habe gesagt, in Breslau wird mehr gelesen als in ganz Bayern.
    Eine Emanze, warum ich im FAZ-Fragebogen angegeben habe, daß ich beim Mann Treue und bei der Frau Aufrichtigkeit schätze. Wieso nicht dasselbe ?
    Tucholsky:«Q-Tagebücher». - Über Wieland gelesen, daß er, den Knüppel in der Hand, seine Magd ausgeschimpft hat.
    Radio gehört. Hildegard sagt:«Orgel und Trompete, das ist mein ein und alles.»
    TV: Interessant, wie die Offiziellen drüben ins Stottern geraten, wenn sie die Diktatur der SED begründen sollen. Es gibt nur ein stures Nein, wenn die Rolle als«führende Partei»in Frage gestellt wird. Schnitzler heute! - Man hätte Hemmungen, sich mit diesem Menschen in ein Gespräch einzulassen, das ist wie mit einem Psychopathen. Verrückte behalten immer recht. Sie kennen sich in ihrem autonomen System gut aus.
    Post: Eine Jüdin aus Tel Aviv entschuldigt sich für einen bösen Brief, den sie mir vor Monaten geschrieben hat - ich kann mich gar nicht mehr erinnern. Der emotionale Ausdruck habe keinerlei Berechtigung gehabt.

Nartum
Do 26. Oktober 1989
    Bild: Tüüt tüüt/Krenz ruft Kohl an/Stoppt den Frauenhandel - sofort
    ND: Krenz und Mischnick führten offenen Gedankenaustausch
     
    Angenehmes Wetter, warm.
    Heute früh«Sirius». - Am Nachmittag«Echolot», der Januar ist wohlgenährt. Es geht jetzt darum, die unbekannten Zeugen einzuarbeiten und Tag für Tag eine Art Dialog herzustellen, es muß ein Gefälle eingearbeitet werden, damit der Leser weiterliest, es darf nicht auf Effekte hin angelegt sein, eher fließend, anknüpfend. Jegliche pädagogische Einwirkung vermeiden. - Eher aufs Glatteis führen die Leser.
    Hildegard war nicht da, es war totenstill im Haus.
    Gestern haben wir die Jahresplanung in groben Umrissen fertiggestellt:
    1990«Sirius»fertig/«Echolot»das erste Vierteljahr/«Kreuze»-Drehbuch
    Am Abend ein öffentlicher Dialog in Dresden, vom DDR-Fernsehen übertragen. Aber da sitzt kein Mumm dahinter, saft- und kraftlos. Anstatt die Leute nun an der Krawatte zu packen, laufen sie umeinander herum. Nichts Konkretes wird gesagt.
    Die SED hat’s schwer, ihre Führungsrolle zu begründen. Bei dem Ausdruck«Führung»schreckt man zurück.
    Kleine Ringbücher und Klarsichthüllen gekauft für die«Echolot»-Erkennungsfotos, Register dazu, Terminkalender für 1990: 143 DM.
    Eine Karte:
    Lieber Walter,
ein Westwind, ein ganz kalter,
umweht so stürmisch meine Ohren
auf dem Velo, das ich auserkoren
für die Fahrt wohl um den See.
Das Fudi tut heut abend weh.

Die Nase tropft, auch noch das!
Doch trotzdem macht die Tour mir Spaß
6 Tage bin ich unterwegs
mit Turnschuh, Freundin, Schokokeks.
Der Bodensee, groß für sein Alter,
und ich, wir grüssen Dich
o Walter.
    Absender unleserlich.
    Oldenburg: Zwei bärtige Männer verließen nach einer halben Stunde das Auditorium. Geben sie einen Bericht ab über mich? Vielleicht müssen sie ja auch nur zum Zug.

Nartum
Fr 27. Oktober 1989
    Bild: 260 Pfund!/Wird Kohl immer dicker?/Warum?/IRA schoß Baby in den Kopf - tot
    ND: Telefongespräch zwischen Egon Krenz und Helmut Kohl
     
    6.30 Uhr. - Es regnet.

Weitere Kostenlose Bücher