Alkor - Tagebuch 1989
keine Sensation ist. Hier sind sie mucksmäuschenstill.
Eine Frau rief gestern früh an, beim Sonntagsfrühstück, ihr Vater hätte den«Heimchen-Bund»gegründet, und sie möchte darüber was schreiben. Und nun braucht sie«lektorelle Betreuung». Hildegard hatte lange zu tun, sie abzuwimmeln. Am Abend rief sie nochmals an, beim Abendbrot. Na, da platzte mir eben doch der Kragen.
Hildegard hat mir heute einen schönen Wochenanfang gewünscht. Sie meint, das sei angenehm spannend, wie sich das jetzt entwickelt.
Genscher denkt jetzt bestimmt daran, daß eine Wiedervereinigung die Krönung seines Lebenswerkes wäre.
Eben ruft ein junger Mann an, er hat mit Frau Hachenberg lange über mich gesprochen, sagt er. Er hat einen Band Lyrik und Kurzprosa geschrieben, und ob ich nicht ein Vorwort dazu schreiben will?
Ich:«Dann muß ich das ja lesen, mein lieber Mann … Haben Sie denn schon was von mir gelesen?»
Er:«Natürlich!»
Ich:«Was denn?»
Er:«Frau Hachenberg hat mir zwei kleine Bändchen gezeigt, die will sie mir schicken, die habe ich angelesen.»
Wer ist Frau Hachenberg?
Oldenburg: Heute meinte eine Studentin beim Türken treuherzig, beim ersten Mal sei ich ihr so unsympathisch gewesen, sie hätte gedacht: Nee! - Aber nach zehn Minuten hätte sich das geändert.
Heute ließ ich erste Lebenseindrücke notieren. Eine junge Frau sagte, eine Nachbarin hätte ihr im Treppenhaus einen weißen Eimer geschenkt. Eine andere meinte: Maus im Schuh. Böhme spricht im«Spiegel»von der«günstigen Gelegenheit». Das will ich meinen.
Die Schwiegermutter war gestern da, ein kleines, armes Häufchen Mensch. Eine verwirrte Frohnatur. Hildegard hält ihre Hände.
Nartum
Di 31. Oktober 1989
Bild: ZDF-Zimmer/Schlaganfall mit 49/Steffi in Klinik / Irre Schmerzen - der Bauch
ND: Wie kann Wende in der Arbeit des FDGB erreicht werden?/ Empfang für Absolventen der Militärakademie
Arbeit am«Sirius».
Heute habe ich für unsere Literatur-Seminare die Jahresplanung’90 gemacht. Allerhand Autoren angerufen, freundliche, unfreundliche und solche, die nicht da waren. Wahr ist es, daß meine Generation abdriftet. Die Jungen drängen vor. Obwohl wir doch etliche von ihnen hier hatten, gibt es kein Gespräch mit ihnen. So, wie wir damals mit Nossack nicht sprachen, der Name fällt mir gerade ein.
Walser:«Nein, ich mache keine Lesungen mehr! - Einmal muß man ja aufhören.»- Kunert hat sofort zugesagt.
2001: Martin Walser kam im vergangenen Herbst zur Abschiedsvorstellung.
TV: Der breitmäulige Ott mit Rühmkorf, der ein Buch herausgebracht hat, das über 600 Mark kostet. Die Genesis eines Gedichts. Ortheil macht einen«zutunlichen»Eindruck. Ich las gerade was von ihm in den«Akzenten». Vielleicht könnte ich ihn 1990 noch unterbringen. Interessanter Mann.
«Report»-Sendung über die Stasi. Daß Mielke ein Mörder ist. - Abstoßende Bilder von Ordensverleihungen an ihn durch Honecker. Daß es über 100 000 Stasi-Leute gibt.
In der Nacht langer Spaziergang.
Brief von einem Rostock-Besucher. Daß 4000 in der Marienkirche … Ihn wundert es, daß im Fernsehen von Rostocker Demonstrationen nicht geredet wird.
Der Journalist, der das letzte Seminar besuchte, hat bei anderen Teilnehmern angerufen und um negative Eindrücke gebeten. (Woher hat er die Adressen?, das frage ich mich.)
Schoko-Cola gibt’s noch zu kaufen. Ich kaufte gestern drei Dosen (Büchsen) in einer Tankstelle, muß man hinterher immer was zum Abführen nehmen, am besten gleich.
Kaum was gegessen heute. Bin ausgefuttert.
Bussard und Krähen streiten sich über der Schafswiese. Die lieben Tiere grasen gleichmütig weiter.
November 1989
Nartum
Mi 1. November 1989
Bild: Freude in der DDR/Honeckers größter Lügner gefeuert/ Schnitzler
ND: Egon Krenz in Moskau zu Arbeitsbesuch empfangen
Sie kommt die Allee herunter, mit dem Hund, ahorngelb in der Sonne. Ich stelle mich in die Tür, und wir winken uns zu. Hier wird Gegenwart zu etwas Ewigem und es ist zu bedauern, daß wir davor nicht auf die Knie fallen können.
Den ganzen Tag arbeitete ich am«Echolot», ein Faß ohne Boden. Wie Zorenappels 12 schichte ich die Früchte ein. Nachmittags telefonierte ich mit Autoren für die 90er Seminare. - Auch mit Zeidler telefoniert. Sie haben Hädrich abgeschrieben,«Hundstage»also nix. Nun suchen sie einen anderen Regisseur. Im ZDF sind sie im Prinzip für die«Hundstage», das sei eine 92er Produktion. In vier Wochen wollen wir wieder
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