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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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können. Du liebe Güte, ich war doch froh, daß das jemand machen wollte. Ein Vergnügen war’s für Fechner nicht.
    Nach dem Mittag - ich wollte mich gerade etwas langmachen und ausruhen von dem Kursus, etwas Hätschelpost in der Hand -, kam eine hochgradige Psychopathin aus Rostock (Rentnerin). In weinerlichem Ton, von Selbstmitleid übermocht, erzählte sie von ihrer SED-Vergangenheit, daß sie es doch so gut gemeint habe, und das und das hat sie alles erreicht, und dann ist sie verhaftet worden und hat 15 Monate gesessen! In Bützow. Und nun soll ich das alles aufschreiben,«Möwe, du fliegst in die Heimat», das habe einer der todkranken Spätheimkehrer immer auf der Mundharmonika gespielt, dem sie die Fahrt nach Lübeck ermöglicht habe. Dieter Thomas Heck, der sammle doch solche Melodien, dem könne man das vielleicht erzählen, und dann könne sie sich mit diesem Soldaten, der vielleicht noch lebe, den sie damals gegen alle Widerstände nach Lübeck geschafft habe, vielleicht treffen, und dann im Fernsehen auftreten, ob ich das nicht vermitteln
kann. - Nach anderthalb Stunden erst gelang es mir, die Frau abzuschütteln. Gab ihr unter irgendeinem Vorwand 100 Mark. Freikauf der Gemütlichkeit? Die Walsroder VolkshochschulLeute guckten scheel, was ich da mit dieser Frau zu sprechen habe?
     
    1999: Später kam ein Brief, ob ich alle Besucher so kurz abfertige? Sie wäre schwer enttäuscht.
     
    Eine Dame schreibt, sie störe ihren Mann durch ihr Seufzen und Lachen beim Lesen der«Hundstage».
    Mein Vater betrieb eine Reederei, ich eine Rederei, beides war eine Räderei.

Nartum
So 29. Januar 1989
    Welt am Sonntag: DGB-Breit wirft SPD-Lafontaine«Blindheit»vor / Sonntagsarbeit - hitzige Kontroverse zwischen DGB und SPD-Vize / Zwietracht in der SPD-Spitze
    Sonntag: Lebenslinien. Lore Staimer-Pieck erinnert sich. Ausschnitte nach einem Protokoll der Sendereihe«Lebenslinien»des Berliner Rundfunks
     
    Mein schöner Sonntag! Noch das VHS-Seminar, aus Walsrode: Ich habe manchmal den Eindruck, sie wollen sich bei mir nur etwas ausruhen. Acht Postkarten verkauft, zwei Taschenbücher signiert. Plankton eingesammelt.
    Ich zu Simone:«Na? Kriegen wir die Kurve?»
    Simone:«Wir kriegen noch so manche Kurve.»
    Hinsichtlich des Planktons ist sie skeptisch.
    Wahl in Berlin, die Schönhubers haben 7,5%, CDU hat 10% verloren. SPD und CDU sind«angeschlagen», die Grünen zum Fürchten.«Schaut euch diese Typen an», wer sagte das noch? Der einarmige Bürgermeister von Berlin, Schütz, damals, lang
ist’s her. Die Folgen des Remmidemmis haben wir immer noch zu tragen.
    Ich schaffte es nicht,«auszuschwingen»am Abend. Als sich die Leute verkrümelt hatten, saß ich da mit meinem Talent. Ruhelosigkeit, inneres Vibrieren. Bei Hildegard war auch keine Ruh’ zu finden, sie las, und da wollte ich sie nicht stören.
    Ich drehte eine ganze Stunde lang eine Runde nach der anderen. Das Haus lag ruhig da, das Parterre erleuchtet. Wie ein Raumschiff der dritten Art. Als ich wieder ins Haus ging, war Hildegard inzwischen ins Bett gegangen. Sie hatte mir das Bett aufgeschüttelt, einen Zettel hingelegt:«Gute Nacht, mein Liebster! »
    Ludwig Grimm: Lebenserinnerungen. Seine Kindheit aus gutem Grund sehr breit. Schöne Naturschilderungen. Sonderbare Schulzeit.
    Frikadellen und in Butter geschmorte Mohrrüben. Obstsalat.

Nartum
Mo 30. Januar 1989
    Bild: Wahl-Hammer / Diepgen großer Verlierer / Nun große Koalition / Demo gegen Republikaner: 10 000 auf dem Ku’damm/ Rentner starb in Zehlendorfer Wahl-Kabine
    ND: Erklärung des Komitees der Verteidigungsminister der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages /Angaben über zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte und Rüstungen des Warschauer Vertrages und der NATO
     
    Lange mit Fechner telefoniert, wegen seiner Gesundheit. Große Sachen kann er nicht mehr machen. Die Filmgesellschaft hätte damals vorgehabt,«Kapitel»scheitern zu lassen, aber da wären sie bei ihm gegen’ne Mauer gerannt. Nur - hinterher wäre diese Mauer eben eingestürzt. Dies und das. Er hält den«Heimat»-Film von Reitz auch für bedenklich. Die Sache mit den Farbsequenzen sei dadurch entstanden - was ich schon vermutete -,
daß mit Farbe begonnen und s /w weiter gedreht wurde, weil das Geld nicht langte. Er habe Tränen gelacht, weil nichts gestimmt habe, vorn und hinten nicht.
    Pädagogisches Seminar in Oldenburg: Das Kombinieren von Buchstaben. Das Zusammenbauen von Wörtern. Hier sind Wörter wie

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