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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Reihenhaus, zu der Sabatini eine Ranch. Letztere läßt wohl nichts anbrennen, was? Ich las gestern in den Briefen von Klaus Mann, 1941, wie er um Geld für seine Zeitschrift barmt. Da hat man dann doch Mitleid mit dem Windhund. Er steht einem näher als die Hexenschwester. - Bleiben wird sein«Turning Point»: Das ist seine Lebensleistung.
    1999: Das Buch erschien postum, wurde aus dem Amerikanischen rückübersetzt, z. T. von Monika, seiner Schwester. Der Vater moniert Unrichtigkeiten und kleine Lügen. - Das Nachwort Golo Manns zu den Briefen seines Bruders!
     
    Hildegard zu den Hunden:«Na, ihr kleinen Freßgrimassen?»

Nartum
Do 26. Januar 1989
    Bild: Krach zwischen Kohl und Genscher
    ND: Wahlkommission der DDR trat zur ersten Sitzung zusammen
     
    Grünkohl mit Bratkartoffeln: sehr gut.
    Danach noch lange mit Hildegard zusammengesessen und geklönt. Die Wunder unseres Lebens gerühmt: Rauchopfer dem lieben Gott, der sie hoffentlich annimmt.

    Sie liest Kundera, ärgert sich über ihn, weil sie privat was gehört hat, das auf bedenkliche Charaktereigenschaften schließen läßt. Post: Eine Dame bedankt sich für die«Hundstage». Sie habe immer gedacht: Was macht Sowtschick da, was macht er da für Sachen, das kann nicht gut gehen. Das muß ins Auge gehen. Was dann ja auch der Fall gewesen sei.
    Eine andere Dame schreibt:«Mein sechsjähriger Sohn sagt über mich: ‹Erst ist sie down, aber dann muß man nur mal kurz Sowtschick sagen, schon ist sie wieder quicklebendig.›»Sie möchte wissen, was in dem Brief stand, den der alte Buchhändler an Sowtschick geschrieben hat. Ich auch!
     
    Auf die«Feuerreiter»von Ray T. Matheny hat es bisher kaum Reaktionen gegeben. Drews hat in der«Süddeutschen»auf den Titel geschimpft und auf die Übersetzung. Er hat eine lange Liste angelegt von Übersetzungsfehlern, die er mir gelegentlich schikken will. - Was mich an dem Text faszinierte, hat auch ihn angesprochen, die Naivität des Erzählers … Hinsichtlich des Titels hat er wohl recht, der ursprüngliche war besser:«The Deacon’s Sinners». Aber wer hätte das kapiert?
    Lustig, wie ich den Autor in Provo kennenlernte. Im Lift der Bibliothek von Brigham Young. Ich sage zu Keele:«Der sieht ganz aus wie ein Bomberpilot …»Und tatsächlich, es war einer. Vier Wochen hatten wir vergeblich nach einem gesucht.
    Bomberpiloten waren schwer vors Mikrophon zu kriegen,«Fighter»drängen sich gern vor. Die dünken sich was besseres. Obwohl die es doch waren, die auf pflügende Bauern Jagd machten. Die Bomberpiloten drückten doch nur gleichmütig auf den Knopf?
    John Sheve aus Berlin -«Good morning, America!»-, der uns im letzten Sommer so schön was vorsang, hat uns einen Ostpreußen-Bericht geschickt, den ich gleich eingab. Vergewaltigungen jeder Art.
    Von diesen Sachen hat auch Kopelew berichtet.
    Angst vorm Grab. Das abscheuliche Einkuhlen, Wegschaffen.
    Vielleicht ist Verbrennen ja doch besser?

    Fünf Jahre brauche ich noch.
    Hildegard:«Das sagst du immer.»
    Vielleicht braucht man immer, in jeder Lebenslage, noch fünf Jahre.

Nartum
Fr 27. Januar 1989
    Bild: Stürzt Gorbatschow?/Währung außer Kontrolle/Versorgung immer schlimmer/Preisreform verschoben
    ND: Wahlaufruf des Nationalrates der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik
     
    Der mildeste Winter, den ich je erlebt habe. Bisher hatten wir noch keinen einzigen Frosttag, von weißer Weihnacht ganz zu schweigen. Da jammern nun natürlich alle Landwirtschaftsmenschen, daß sämtliche Insekten mit dem Leben davonkommen. Existieren denn überhaupt noch welche? Die haben sie doch längst weggegiftet! Quälende Gewissensbisse: Soll ich die Vögel füttern oder nicht? Vernichte ich mit der Ausstreuung von Sonnenblumenkernen das Ökosystem unseres Gartens? Richte ich nicht wiedergutzumachenden Schaden an?
    Ich habe schon seit ein paar Tagen Gliederschmerzen. Heute ging’s besser. Sie reden immer, ich soll zum Arzt gehen. Aber der drückt mir doch nur Pillen in die Hand, und die liegen dann in der Nachttischschublade, bis ich sie wegschmeiße. Die Verfallsdaten haben bereits historische Dimensionen. Meine holden Gelonidas hingegen haben mich noch nie im Stich gelassen, die liebliche Honigdroge. Mit schlechtem Gewissen nehme ich sie ein. Davon kriege ich wahrscheinlich eines Tages eine Steinleber, woran ich dann sterbe.
     
    1999: Leber in Ordnung. Nieren auch. Der untersuchende Arzt in Rotenburg, der jeden Tag sein Fläschchen trinkt, wie er sagt,

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