Alkor - Tagebuch 1989
beneidet mich um die Nieren.
Aus Hannover in Sachen«Stiftung Kreienhoop»ist immer noch nichts gekommen. Das Geld sei«da», wird mir gesagt, das müsse nur noch angewiesen werden. Der Steuer gegenüber müsse allerdings ein Stiftungsverein gegründet werden. Ehe ich das Geld nicht hab’, kann ich überhaupt nichts machen: Niemanden einstellen, nichts Caritatives unternehmen. Bin blockiert von oben bis unten.
Das Haus muß weg, weil unsere jetzigen Einkünfte nicht reichen, es zu halten und den Betrieb hier weiterzuführen - ich rutsche trotz aller Anstrengungen ständig ins Minus. Wenn die Rücklagen nicht wären, könnten wir den Laden hier dicht machen.
«Was haben Sie für ein schönes Haus!»- In der Tat, es ist schön. Es ist ein Sonnenbündelungshaus. Später werden sie ein Altersheim draus machen. Oder Renate zieht hier ein mit ihren Tieren.
Post: Eine Frau schreibt:«Mein Mann ist Lungenspezialist, er hat auch einige Bücher geschrieben, und nun möchte er mal ein volkstümliches Buch über die Lunge schreiben, können Sie ihm dabei nicht helfen?»
Das muß man sich mal vorstellen.
Hauptarbeit z. Zt.«Echolot». Morgens arbeite ich an«Mark und Bein», nachmittags am«Echolot». Die Sache rundet sich. Unpublizierte Texte allein genügen nicht. Ich werde auch bereits veröffentlichte nehmen müssen. Die KZ-Berichte zum Beispiel, sind, so weit ich sehe, schon fast alle irgendwo mal publiziert worden, da gibt’s nichts Unveröffentlichtes mehr. Ich stelle die Biographien bekannter Zeitgenossen unveröffentlichten Tagebuchnotizen und Briefen gegenüber, Beobachtungen und Meinungen des sogenannten Mannes auf der Straße. Das Raunen.«Das Raunen»wäre auch ein guter Titel.
Fotos aus dem Archiv ergänzen die Sache.
Allerhand Experimente auf dem Computer. Plankton-Datei füllt sich.
«Sirius», Überlegungen zum Titel: Unterm Sirius. Erinnerungen an ein Tagebuch.
Für das«Echolot»bieten sich vier Teile an:
1. Teil 1943/44
2. Teil 1945
3. Teil 1946/47
4. Teil 1948/49
Das Zentrum des«Echolot»ist das Jahr’45, der Schlund des Trichters, auf den alles zuläuft.
Ich sehe die Vergangenheit mehr und mehr science-fictionistisch. Die Vergangenheit rast fort wie mit umgekehrtem Zoom, und alle Erinnerungen werden mehr und mehr unwirklich, wie von einem fernen Gestirn.
Nartum
Sa 28. Januar 1989
Bild: Aids: 29 Babys in Kinderklinik angesteckt
ND: Große demokratische Aussprache der Bauern: Jahreshauptversammlungen beschließen neue Vorhaben
T: Vom nächsten Schriftstellertreffen geträumt. Ranicki kommt mir in einer Strampelhose entgegen. Die Träger schlappen herunter. Er hat sich ganz offensichtlich in die Hose gemacht.
7 Uhr.- Hahn kräht, kalt.
Im Kopf kreist es, und in dieser Verfassung wacht man auf! Von Erquickung keine Spur.
Wiesbaden, im Commissary, nie wieder erlebt, daß ein Mädchen auf mich zusteuerte. Mich«erwählte». Sie hatte schwarze Haare und trug einen grünen Mantel. Rassenschranken bestanden zwischen uns, kein Wort durfte gewechselt werden. Ich war«coloured people». Sie wird inzwischen über 70 sein.
Dorfroman: Eine Rinderherde läuft ums Dorf herum, frei, der Bauer kümmert sich nicht darum. Ein rabiater Mensch, mit dem keiner gern anbandelt. So etwas hat es noch nie gegeben. Aber immer gibt es Menschen, die ihre Umgebung tyrannisieren. So
der Nachbar uns mit seinem Hund. Es ist nicht zu fassen. Hildegard meint, er bellt nur, wenn eine Ratte an seinem Zwinger vorüberstrebt oder ein Igel. Nur? Ich danke.
Meinem schwindenden Gedächtnis versuche ich jetzt durch Konzentrationsübungen aufzuhelfen. Stelle mir verschiedene Aufgaben: Wenn du jetzt nach oben gehst, wirst du ein Taschentuch holen, Fotokopien machen, Schuhe mit herunterbringen und die Post aus dem Briefkasten nehmen. Dann denke ich extra an was Ablenkendes, mich Bewegendes, und sehe aber trotzdem streng auf die Durchführung des Plans. Auch die Wortfindungs-Schwierigkeiten versuche ich durch Konzentration zu beheben. Man darf sich nicht gehen lassen und den Trottel spielen wollen (was in anderer Hinsicht manchmal Vorteile mit sich bringt).
Volkshochschule aus Walsrode kam gestern für drei Tage. 13 Teilnehmer. Ich habe nichts gegen diese Leute. Hausbesichtigung und so weiter. Warum zeigen Sie uns das Haus? Wo stammen Sie her? - Hatten Sie ein Mitspracherecht bei den Filmen?
Mitspracherecht. Das soll sich nach was anhören. Gemeint ist wohl: Einspruchsrecht? Ob ich das ganze hätte verhindern
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