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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zu Heuschrecken werden), findet sie der Vater, schleppt sie gefesselt an den Haaren zum Statthalter Marcianus, der sie geißeln läßt. Sie spricht von den Geißeln,«als ob es Pfauenfedern gewesen seien», doch erscheint ihr Christus nachts im Gefängnis, um ihre Wunden zu heilen. Der erbitterte Statthalter läßt sie nun mit Keulen schlagen, ihr die Brüste abschneiden, sie mit Fackeln brennen. Als er sie dann entkleidet auf dem Marktplatz umhertreiben und peitschen lassen will, erscheint auf Barbaras Gebet ein Engel und hüllt sie in ein schneeweiß leuchtendes Gewand. Den Befehl, sie nun mit dem Schwert hinzurichten, führt der ergrimmte Vater selbst aus und wird danach durch vom Himmel fallendes Feuer getötet. Vom 18. Jh. an Patronin der Bergleute, Glöckner, Architekten und Artilleristen.

Nartum
Di 5. Dezember 1989
    Bild: Einheit / Wunderbare Wende in Moskau /Honecker Hausarrest
    ND: Keine Hinweise auf den Verbleib von A. Schalck / Eindringlicher Aufruf zur Ruhe, Besonnenheit und Gewaltlosigkeit
     
    Krenz gestern, als Bösewicht bloßgestellt, zunächst im Hintergrund, dann an der Flüstertüte, von allen guten Geistern verlassen, ließ die Hände sinken - daß man ihn nicht einmal ausreden läßt! Also, das enttäuscht ihn denn nun doch. - Schabowski, oder wie er heißt, mit der Liste der Verstoßenen in der Hand: Alles wirft er dem Volke zum Fraß vor - man stelle sich vor, es wäre seit’45 niemand in den Westen gegangen. Das hätte jetzt Mord und Totschlag gegeben. Die wackeren Parteigenossen sehen sich ratlos an. Weglaufen? Oder«nun erst recht»? - Ja, da ist guter Rat teuer. Es wird schon von Gründung einer gänzlich neuen Partei gesprochen. Wie wär’s denn, wenn man sich wieder
in SPD und KPD teilte? Von«K»spricht indessen schon niemand mehr. Statt dessen schwenkt nun auch das Neue Forum auf die Wiedervereinigung ein. - Gestern wurden bereits Fahnen ohne Hammer und Zirkel geschwenkt - woher sie die haben? -, und Redner traten ohne Federlesens ein für ein einiges Deutschland. Von daher gesehen, würde ich jetzt sogar die«Eier-Becher-Hymne»akzeptieren. - Der«staatliche Rundfunk»sah sich gestern sogar gezwungen, einen eindringlichen Appell an das Volk zu richten, man solle nicht zur Selbstjustiz greifen, sondern Ruhe bewahren. Überall sollten wachsame Augen darauf gerichtet werden, daß keine Akten verschwinden. - Was da wohl noch so alles zutage tritt.
    Die Besichtigung der Wandlitz-Enklave war ja wohl nichts. Kein Ceauçescu-Prunk, nichts Karinhallisches. Keine einzige Bronze im Stil des sozialistischen Realismus. Solche Häuser, wie sie dort stehen, würde in der Bundesrepublik kein mittlerer Prokurist beziehen. - Lustig zu sehen, wie die Kameramenschen die Wasserhähne filmten, die angeblich auch irgendwie luxuriös sind. Der DDR-Berichterstatter zog sich schamvoll zurück, als man dem Kader Hager zu Leibe rückte, der weinerlich sagte, er möchte nicht zum dritten Mal emigrieren. Na also, was hat er denn mit den Schriftstellern angestellt?
    In Rostock hat man unterdessen ein Munitionslager ausgehoben - in Dummersdorf. Ein verwirrter Staatsanwalt in lichtblauer Joppe stotterte da was rum, daß er erst die vorgesetzte Behörde fragen muß, ehe er aufschließen kann. Von hier aus wurden Maschinenpistolen verschifft in Krisengebiete - alles im Namen des Sozialismus, eine ganz normale Sache. Weshalb sollten sie das auch nicht tun? Alle andern sozialistischen Bruderländer taten es doch auch? Sogar der friedliebende Olof Palme im Friedensland Schweden.
    In der Tschechoslowakei hatten sie die Wende mit Glocken eingeläutet, nun stellt sich aber heraus, daß die KP nur das Kulturressort freigegeben hat für die Demokraten («Parteilose»heißt es). Na, das wird Rabatz geben. Wenn sie jetzt nicht nachstoßen im Osten, dann ist alles umsonst. - Gorbatschow hat seine strikte
Ablehnung der Wiedervereinigung inzwischen abgemildert, und Modrow findet die zehn Punkte Kohls sehr vernünftig. Hier wirft man dem Kanzler, dem sonst immer sein Zögern und Lavieren angekreidet wird, vor, daß er die zehn Punkte nicht abgesprochen habe mit irgend jemandem. Na, das hätte ein Palaver gegeben! Vor lauter Wenn und Aber wäre nichts mehr übriggeblieben von den«Pünkters», wie die Mecklenburger sagen. Mitterand hat das gemeinsame Kaffeetrinken mit Kohl abgesagt. Das wird der aushalten.
    Nein, bisher läuft alles ganz gut.
    Die politischen Häftlinge in Bautzen und anderswo wurden noch immer nicht

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