Alkor - Tagebuch 1989
beginnt. Vielleicht gelingt es mir dieses Mal,«mit dem Jahr zu gehen», also mir die Heilsgeschichte im Kalender zu vergegenwärtigen. Ich hatte das ja schon in diesem Jahr vor, aber leider, leider …
Krenz geht’s an den Kragen.
Malta:«Der kalte Krieg ist zu Ende.»
Am Abend: Wie sieht ein Verlierer aus? Krenz war zu besichtigen, wie er vor dem SED-Haus den Leuten das versprach, was er schon vor 14 Tagen hätte tun sollen: alle Korruptionen («die es woanders noch viel schlimmer gibt»: Gysi) aufzuklären.
In Kavelsdorf haben sie ein Waffenlager entdeckt. Die friedliebende DDR hat also mitgemischt, wenn’s irgendwo bumsen sollte:«Wenn wir nun auch noch rauskriegen, daß die DDR mit Rauschgift gehandelt hat, dann wundere ich mich gar nicht mehr!»(Ein Rostocker) Das Politbüro ist zurückgetreten, und ein Großteil der führenden Genossen ist aus der SED ausgestoßen worden, einige wurden sogar verhaftet (was macht der Genosse
Krolikowski?). Modrow ist nun der einzige, wie der wohl schläft, nachts. Er macht auf mich einen ziemlich zerfahrenen Eindruck, ob er magenkrank ist? Das Haar immer so schlecht geschnitten. - Und auf der wahnsinnig gewordenen See, auf schwankenden Schiffen reden sich die beiden Großen ins Gewissen. Das«Nein»Gorbatschows zur deutschen Einheit scheint mir nicht so eindeutig zu sein.
In Bremen haben sie auf der Straße drei junge Leute vor der Kamera gestoppt und gefragt, was sie zur Wiedervereinigung sagen? - Nein, haben sie ins Mikrophon gesagt, sie wünschen die Wiedervereinigung nicht. - Damit hat der Sender seiner Informationspflicht genügt.
Ich habe mir inzwischen ausgedacht, daß ich noch vor Weihnachten nach Rostock fahre.
Das wird ein lustig Leben
bei uns im Lager geben
bei Würfelspiel und Tanz!
Wir zündeten die erste Kerze am Adventskranz an, und Hildegard baute die Ulmer Krippe auf.«Es kommt ein Schiff geladen …»Von Bach gibt es keinen Choralsatz über dieses Lied. Über den Adventskranz:
Die Herkunft des Adventskranzes ist noch nicht eindeutig geklärt. Nach Meinung mancher Autoren handelt es sich um einen relativ jungen Brauch, der von Kreisen der evangelischen Jugendbewegung zwischen den beiden Weltkriegen verbreitet wurde. Nach anderen geht der Adventskranz auf Johann Hinrich Wichern (1808-81) zurück, der ihn zuerst bei Adventsandachten im«Rauhen Haus« zu Hamburg und ab 1860 im Waisenhaus Tegel (Berlin) verwendete. Die Tannenzweige weisen auf den Christbaum und damit auf Weihnachten hin, die vier Kerzen stellen die vier Adventssonntage dar.
Ich habe irgendwo gelesen, daß die vier Kerzen mit den 4000 Jahren zu tun haben, die die Menschheit auf Christus warten mußte. - Neuerdings sieht man Adventskränze mit sechs Kerzen. Was das nun wieder soll?
Gestern ein mürrisches Baby im TV, das interessiert und dann gierig zu gucken begann, als man ihm eine Milchpulle hinhielt.«Ihm schien die Sonne durch die Ohren.»- Am Nebentisch ein Acht-Monats-Baby, dem die Mutter eine Mohrrübe aufs Bett legt. Man sieht jetzt Babies so selten, daß man hinguckt, als wären das seltene Tiere.
Früher waren Nichtraucher verdächtig. Wurden sie für schwul gehalten?
Nartum
Mo 4. Dezember 1989
Bild: Das Volk befreit sich / Gestürzt: Krenz / Verhaftet: Mittag, Tisch / Verstoßen: Honecker, Mielke, Stoph, Sindermann / Gejagt: Schalck
ND: ZK der SED trat zurück / 12 Mitglieder des ZK aus der Partei ausgeschlossen
8 Uhr. - Rauhreif. In der Presse wird nun die Zerstreuung der SED bekakelt. Ich erinnere mich noch an die kalte Angst, die ich hatte, als die Kommunisten 1945«die Macht übernahmen». Gleich darauf schwoll der Exodus an, das war die richtige Antwort.
23 Uhr. - Allerhand Aufregungen, Korruptionen in der DDR, 100 Milliarden Mark sollen in der Schweiz liegen. Das sind mir schöne Sozialisten!
Bericht über das Treffen der Amerikaner und Russen auf Malta. Die«aufgepeitschte See»(Reporterjargon). Warum sie sich nicht in einem schönen warmen Hotel treffen, sondern ausgerechnet auf Kriegsschiffen, ist mir unerfindlich.
Es schneite, und wie üblich ging’s in Regen über. Ein romantischer Augenblick.
Zu gedenken ist der heiligen Barbara, einer jungfräulichen Märtyrerin, die der Legende nach von ihrem eigenen Vater den Gerichten ausgeliefert wurde.
Der Vater will sie erschlagen, weil sie sich als Christin erklärte, aber sie entflieht, und ein Felsspalt öffnet sich, um sie zu verbergen. Von einem Hirten verraten (der zu Stein wird und dessen Schafe
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