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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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träume ich wirrer. Das Unbewußte strengt sich nicht mehr an. Es wird disziplinlos.
    Hildegard und ich waren in den letzten Tagen damit beschäftigt, wütend Geld auszugeben.
    Verräterisches Schuhwerk tragen.
    Post: Angebot einer großen Menge von Feldpostbriefen aus Prag und Rußland, geschenkt, ohne irgendwelche Einschränkungen. Ich sehe die Mengen der Briefe und Tagebücher und Fotos vor mir, die täglich auf der Müllhalde landen.
    Ein Herr schreibt, seine EU-Rente gebe wenig her, und eine Einnahme aus seinem«Aufgeschriebenen»- das er mir schicken will - wäre höchst willkommen.
    Dorfroman: Der Munterhund brachte uns heute ein Hühnerei, vorsichtig hielt er es zwischen den Zähnen. Wenn wir Kaffee trinken, liegt er gern auf der Galerie und guckt die Allee entlang, auf der, weit hinten, Kaninchen von links nach rechts laufen. Das ist für ihn eine herrliche Unterhaltung.

    Literatur über Hitlers Verdauungsbeschwerden und Erich Kubys interessantes Buch«Mein Krieg». Ich habe die Eintragungen sofort mit meinen«Echolot»-Texten verglichen und auch gleich angefangen, einige einzugeben. Daß der Titel«Mein Krieg»sich auf«Mein Kampf»bezieht, versteht kein Mensch. Beeindrukkend ist die Lebensstrategie dieses Mannes, wie er den Abbau seiner Wohnung in Berlin organisiert und seiner Frau sagt, sie soll an den Bodensee ziehen. - Ich weiß noch genau, daß ich im Herbst 1944 meinen Vater fragte, wieso er nicht ein Grundstück im Rheinland kauft. Damals hätte man noch übersiedeln können. Das Nächstliegende, Plausible wird oft übersehen, weil man mit tückischen Komplizierungen des Lebens rechnet. An Hausrat festhalten wollen, der sowieso verlorengeht.
    Dorfroman: Adi, der Kater, ist durch das Puppenhaus gekrochen. Sehr komisch wie er sich durch die Tür zwängte. Im Winter hat er auch schon mal im Vogelhäuschen gelegen.
    Den Abend verbrachte ich vor dem zweiten Teil von Fechners Maidanek-Prozeß. Gegenüber dem lyrischen, fast mädchenhaften«Damenstift», ist das eine titanenhaft klotzige Collage von ungeheurer Spannung. Ein großartiges Meisterwerk. - Wir Deutschen haben offenbar sehr viele solcher Meisterwerke, daß wir es uns leisten können, sie mit Stillschweigen zu übergehen.
    Sie habe immer eine Peitsche in der Hand halten müssen, sagt eine Aufseherin, damit habe sie dann nervös an den Stiefelschaft geklopft.
     
    2000: Fechners Film ist über den reißerischen Hollywood-Produktionen gänzlich in Vergessenheit geraten.
     
    Kaum jemals sieht man ein hübsches Gesicht, nur die anmutigen Kinder. Früher mag einheitliche Tracht alles kaschiert haben. Spät noch ging das Telefon, aber auf der anderen Seite war niemand dran. Leider war ich elend, zittrig und schwach, flüsterte da ein bißchen was von Hallo?, hätte lieber brüllend forsch sein sollen. Mit Zittrigkeiten lockt man Diebe nur an. Also, Kempowski, raffe dich zusammen das nächste Mal.

    Keine Zeitung. Bin beleidigt. Rannte dauernd wieder zum Briefkasten. Ich bin sicher, daß der Briefträger die Zeitung vergessen hat.

Nartum
Mi 15. Februar 1989
    Bild: Asylanten / Aussiedler / Umsiedler: 500 000 kommen
    ND: Kandidaten für die Kommunalwahlen am 7. Mai stellen sich in ihren Arbeitskollektiven vor
     
    T: Langer Traum über Kunst.«Die gestaltete Abnormität ist das, was wir Kunst nennen», diese Definition. Sodann in immer neuen Variationen ein angeblich von irgendwelchen«Alten»(Inkas?) variiertes Muster: Also jeweils ein Quadrat mit irgendwelchen kostbar hergestellten Hieroglyphen, aus Edelsteinen.
    7.30 Uhr. - Gestern war zum Kaffee eine Renommierfrau da, die mich ärgerte, weil sie ununterbrochen aufzählte, was für herrliche Kunstwerke ihre Mutter besessen habe, und alles verschleudert. Uralte Bremer Familie, so in diesem Stil. Unser Haus hier bezeichnete sie als schnuckelig, was mich auch ärgerte. Obwohl sie ja eigentlich recht hatte.
    Langer, langsamer Spaziergang im Garten, immer rund herum. Ich überdachte meine verschiedenen Projekte. Das«Echolot»sehe ich als«sachliches»Gegenstück zur Chronik. Jene ganz subjektiv, dieses, wegen der vielen unterschiedlichen subjektiven Sichtweisen, mehr objektiv . Die drei Befragungsbücher der Chronik bilden das Bindeglied zwischen Chronik und«Echolot». Beides zusammengenommen ist dann«authentisch». Ideal wäre der Leser, der alles liest. Aber welcher Autor wünschte sich das nicht.
    «Und wer soll das alles lesen?»- dieser blöde Ausspruch einer Generation, die vor Freizeit nicht

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