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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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    Und dafür sind die Leute früher mit Koggen um ganz Afrika herumgefahren. Zwiebeln sind heute, wie schon gesagt, ohne jede Schärfe, man kann sie wie Äpfel essen.
    Gehört nicht hierher: Aber einmal in meinem Leben möchte ich noch Rosen riechen. Heute nur noch Gemülle.
     
    Wilhelm von Maleval , Heiliger unbekannter Herkunft, ließ sich nach ungebundenem Jugendleben in eine unabnehmbare Rüstung einschmieden und pilgerte mit darübergelegtem Bußgewand im Jahre 1145 nach Rom und ins Heilige Land.

Nartum
So 11. Februar 1989
    Bild: Kuli über Elstner: So wird das nix / Momper: Ich sehe immer schlechter/Nach Grünen und Republikanern - jetzt: Auto-Partei gegründet
    ND: Neue Vorhaben der Bauern für hohen Ertragszuwachs
     
    T: Ich habe den Ausweis eines Juden gefunden und weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Ob ich ihn vielleicht gefährde, wenn
ich ihm den zurückbringe. Ich schicke ein Kind, sehe auf andern Fotos, wie das Kind sich dem Haus nähert, und ich sehe, daß das Haus in Trümmern liegt. (Berlin!)
     
    Gestern hatten wir hier ein Colloquium, Abschluß des Wintersemesters. 15 Studenten aus Oldenburg kamen. Wir saßen von 10 Uhr früh bis Mitternacht zusammen, das waren alles in allem 14 Stunden.
    Das allgemeine Klönen hat mir gefallen, alles ganz nette Typen, eigentlich Kinder. Für mein Archiv nutzte ich die Chance und ließ punktuelle Schulerinnerungen erzählen bzw. aufschreiben. Auch das ist Plankton, das man sich genauer anschauen sollte. Auffallend war, daß kein Lehrer-«Original»in den Erinnerungen vorkam. Ein sonderbarer Mangel an Gemüt in allen Geschichten. Vielleicht hängt beides miteinander zusammen. Die Ernte, die ich bei«Durchgemogelt»hielt, war reicher.
    Wenn ich damals die Tafel bei unserem alten Kommißlehrer gewischt habe, hat er die Lehrerpultschublade aufgezogen, in eine Tüte gefaßt, ein fruchtig goldenes Gummibärchen herausgenommen, es durchgerissen und mir ein halbes in die Hand gegeben. (Eine Studentin)
    Ein Junge hat eine Käseschachtel mitgebracht. Zu Hause mit Watte ausgelegt. Der Deckel war durchsichtig. Er hat dann allen erzählt, daß das der Finger seines Ur-Ur-Großvaters sei, den er im Krieg verloren hatte und den sie aufbewahrt haben. Unten in der Schachtel war ein Loch, wo er dann seinen Finger durchsteckte! Wir sahen immer nur seinen Finger und haben das alle geglaubt. (Eine Studentin)
    Heute Nachmittag waren wir - zur Belohnung - in Hamburg. Dort kauften wir 50er-Jahre-Glas und zwei Belutschistan-Brükken für die Bibliothek. Wunderbare Stücke, verhältnismäßig billig. Nach getätigtem Kauf- der die ehelichen Bande festigte - zeigte der Verkäufer uns herrliche Perser im Obergeschoß. Wahre Wunderwerke. Ich konnte mich nicht sattsehen. Kaufen hätte ich aber nichts mögen (und können). Ich mag keine teuren Sachen
im Haus haben. Ich will keine Angst vor Dieben haben. Leute, die bei uns klauen, sind schön angeschmiert.
    Das 50-Jahre-Glas war sehr billig.«Das will keiner kaufen», sagte die Verkäuferin. Ein zitronengelber Aschenbecher ist dabei, wie ein Harlekin. Anschauungsmaterial für M/B.
    In Gent haben sie eine Oper über Ulrike Meinhof aufgeführt. Ob da Leitartikel gesungen wurden? Baader in Fistelstimme? - Die Meinhof jedenfalls in Alt. Das wird in den ewigen Schatz deutscher Kultur eingehen. Klaus Umbach im«Spiegel»:
    Klingt schon merkwürdig:«Sexistischer linker Bulle»in d-Moll,Takt; oder mit schrillem Crescendo rein, in die Fresse der Kapitalisten … - Was die Meinhof durchgemacht habe, sei, so jedenfalls sieht es der Librettist Geerts, antike Tragödie, vergleichbar dem Schicksal der Antigone von Sophokles.
    Am Abend sah ich den aufgezeichneten Rühmann / Moser / Lingen-Film:«Ungeküßt soll man nicht schlafen gehn», von 1936. Gott, wie habe ich gelacht! Der unsterbliche Hans Moser. Damals sprang er noch die Treppen hinauf! Auch Annie Rosar war dabei. Schade, daß man von den Schauspielern nichts Näheres weiß. Die Umstände, unter denen die Filme entstanden. Ob’s da ein Archiv gibt? - In Reclams Filmlexikon sucht man den Film vergeblich. Jeder amerikanische Dreck ist abgehandelt, aber nicht dieser lustige Film. Auch im Lexikon der Kinofilme fehlt er. Auch im Cinegraph keine näheren Angaben.
    Das Jahr 1936 wäre auch ein«Echolot»wert.

Nartum
So 12. Februar 1989
    Welt am Sonntag: CDU/CSU. Sofortprgramm gegen Asylmißbrauch. Visumzwang für Polen und Jugoslawen / Erste

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