Alkor - Tagebuch 1989
Götze eine Karte von Polen, einen Reiseführer Ostpreußen. Bei Glogau die OKW-Berichte für 49,80 DM. Daß man so was so billig kriegt?
Im gänzlich heruntergekommenen Alster-Pavillon Kaffee getrunken. Leibhaftige Kaffeehaus-Musik.«Über die Prärie …»(= rennt ein Weib, splitternackt …) Wie 1939 im Harz. In der Musik kann die Zeit stehenbleiben.
Es gibt in ganz Hamburg keinen anständigen Kuchen mehr zu kaufen. Also, ich meine: normalen, von dem man kein Leibschneiden kriegt.
Ich ging in die Katharinenkirche und sah mir unsern Epitaph an. Die Familienerinnerung von Mutter ging bis 1870 zurück. Das kleine Cuxhaven-Tagebuch meiner Urgroßeltern, das ich in den 60er Jahren einsehen durfte - man lieh es mir nicht, weil ich ja«unrein»war - und aufs Tonband sprach, ist inzwischen verschwunden.
Die Abschrift aber existiert, die hab’ ich hier. Keiner aus der Verwandtschaft hat je danach gefragt.
Damals war mein Urgroßvater in Königsberg«Schiffseigner». Jeden Morgen trat er in seinen kleinen Garten und richtete sich an der Teppichstange einmal auf. Das bezeichnete er als sein«Turnen». - Die Bibel, die er vom Kaiser zur Goldenen Hochzeit bekam, hat sich wunderlicherweise erhalten (von Doré ist sie illustriert). Als Kind lag ich auf dem Teppich und sah mir die Bilder an. Heute blättere ich manchmal darin und erinnere mich daran, daß ich in ihr blätterte.
Beim Schreiben von«Prosa»muß man immerfort an dreierlei denken:
1. die Story
2. die Bilder der Story
3. die Komposition
Wer diese drei Dimensionen nicht ständig im Kopf hat, kann keinen Roman schreiben. Der«Sinn»dessen, was er erzählt, darf ihn nicht kümmern.
Im Moment entziffere ich Briefe, die eine Flüchtlingsfrau 1946 aus Jütland nach Sachsen geschrieben hat. Ihr Mann saß noch bis in die 50er Jahre in Polen, Ausreiseverweigerung.
«Heute, Donnerstag, den 28. August, habe ich die Ästhetik abgeschlossen»schreibt Peter Weiss feierlich, wie ein Kind. Das war 1980. Und die Arbeit war so ganz umsonst! Niemand erhoben, niemand genützt, keinen erfreut, interessiert. Alles, was von ihm überdauert, sind die Notizbücher mit den paar spitzen Bemerkungen. Im April 1972 schreibt er:
Lesenswert, neben Fachliteratur, Zeitschriften, Zeitungen, überhaupt nur noch Tagebücher. Z. Zt. Goethe: Gespräche m. Eckermann - Gombrowicz, Gide. In Frischs Tagebuch auch das beste, was von rein authentischen Begebenheiten handelt … Johnsons Tagebuch auf Grund der literarischen Verbrämungen schwer lesbar.
Stöhnend im Bobrowski.
Die heilige Corona mußte das Martyrium erleiden, in dem sie, an zwei niedergebogene Palmbäume gebunden, von den hochschnellenden Palmen zerrissen wurde. Ihr Name«Krone»als Geldzeichen ließ sie in nachmittelalterlicher Zeit in Bayern und Österreich zur Patronin und Helferin in Geldangelegenheiten werden.
Hamburg/Nartum
Di 21. Februar 1989
Bild: Bundesliga: 12 Ehen zerbrochen/Berliner SPD: Letzte Warnung an AL
ND: Erich Honecker traf mit René Urbany zu herzlichem Gespräch zusammen/Kandidaten zur Kommunalwahl standen Rede und Antwort
Drei Tage Hamburg, d. h. zwei Nächte.«Urlaub». Ich wohnte im Hotel Wagner in Othmarschen; 204 DM und sah den Schiffen zu, die auf der Elbe fuhren. Ein Anblick, den ich ja eigentlich kenne. Mich ärgern die modernen Schiffe, häßliche Kästen, besonders die Containerschiffe.«Das war früher alles anders …»(Alter-Mann-Jargon).
Bücher fürs«Echolot»gekauft: Klarsfeld (Endlösung); Distel (KZ Dachau); Johe (Neuengamme); Lang (Bahrmann); Hiroshima-Nagasaki /Ressing (Quarantäne); Meyer/Hochmuth (Hamburg Widerstand) = 148 Mark
Ich kaufte sie in der Heinrich-Heine-Buchhandlung, wo man mich sehr unfreundlich bediente. Ich bin da wohl als Klassenfeind registriert? - Aber auch für diese aufrechten Menschen gilt: pecunia non olet. Vielleicht hätten sie mir den Kauf auch gern verweigert?
2000: Ich könnte mir die Bücher für das«Echolot»ja auch in der Staatsbibliothek leihen, aber ich darf sie als Niedersachse
nicht benutzen. Und mit Hannover gibt es Schwierigkeiten, weil ich jetzt keine Schreibmaschine mehr besitze, um die Leihscheine auszufüllen. Handschrift wird nicht akzeptiert. Vor einigen Jahren habe ich den Leihtanten mal eine Tafel Schokolade geschickt, als Dank, daß sie mich so gut behandelten, die haben sie retourniert, sie dürften keine Geschenke annehmen.
Titel für den«Dorf»-Roman:«Am Ende der Welt.»
Max Bruch: Streichquartett, nicht so doll. - Er
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