Alkor - Tagebuch 1989
gleichartiges«Wie-ein-Mann»-Wesen.
Ich habe es satt, zu argumentieren. Lebensekel stellt sich ein. Heute war ein besonders schlechter Tag. Ich konnte fast nichts tun, war ganz matt.
Jetzt erst ist mir klar geworden, was es für Juden bedeutet, daß
in unseren Kirchen die Kerzen auf den siebenarmigen Leuchtern angezündet werden. - Die Gebetsriemen, die kleinen Lederkästchen auf dem Kopf. Da hat viel unheimliches Mittelalter überlebt. Es ist schon zu denken, daß die Intensität, mit der hier Gott angerufen wird, irgendeine Wirkung hat. Ähnliches in Tibet, die Gebetsmühlen, die wohl auch nicht vergebens gedreht werden. Oder die kleinen Perlenschnüre, die orientalische Kaufleute durch die Hand gleiten lassen, wenn sie in ihrem Laden sitzen. Das unaufhörliche Anrufen Gottes provoziert ihn vielleicht zum Zorn?
Nartum
Fr 24. Februar 1989
Bild: Alle Polen kriegen bei uns Rente
ND: Gespräch Erich Honeckers mit Ministerpräsident Lothar Späth
Ich bin übers Wochenende allein im Haus: Es knackt überall. Eine Frau von der«Bunten»kam, war mir ganz angenehm, da ich doch Strohwitwer bin. - Die Katzen sind freundlich zu mir. Ich lasse sie in alle Stuben. Meine Allergie hat sich«durch Abhärtung»gegeben (eine Dame riet mir, ich sollte mich gar nicht darum kümmern). Während ich arbeite, liegen sie in meiner Nähe. Manchmal sogar auf dem Schreibtisch. Gegen Abend haben sie ihre Spielzeit. Sie streichen an meinen Beinen entlang und schlagen mit dem Schweif, schnurrend. Das hat was Nuttenhaftes. Ich lege dann meine Arbeit hin und wende mich ihnen zu, aber dann flüchten sie. Da kenn’ sich einer aus.
Im«Spiegel»ein Artikel über Ungarn. Dort hat die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei in einem Kommunique«feierlich»erklärt, sie werde stufenweise auf ihr Machtmonopol verzichten, um anderen Parteien, auch der Opposition, eine Chance bei der Mitgestaltung der Gesellschaft zu geben. Auch die Polen wollen auf die marxistischen Dogmen von Klassenkampf und Diktatur
des Proletariats verzichten, um eine sozialistische parlamentarische Demokratie aufzubauen. Wer’s glaubt, wird selig.
In Afghanistan sind von den Russen 50 Millionen Minen gelegt worden. Im«Spiegel»sind die verschiedenen Typen aufgezählt. Es gibt Minen, die mehrere Meter hoch in die Luft springen und erst dann explodieren.
Ende des Krieges wurden wir Jungen unterwiesen, wie man auf einen Panzer klettert und eine Haftmine anbringt. 15 Jahre alt war ich damals.
Matthias , Apostel. Entweder gesteinigt und mit dem Beil enthauptet oder friedlich entschlafen oder gekreuzigt.
Nartum
Sa 25. Februar 1989
Bild: In 8500 Meter Höhe /16 Menschen fielen raus /Das Jumboloch
ND: Begegnung Erich Honeckers mit Bürgermeister Henning Voscherau
Eine Dame kam mit einem Kassettenrecorder: Dicke Finger mit Ringen. Struves Haar. Eine Privatsache, sie will ein Interview mit mir machen und es dann einem Sender anbieten. Gegen eine solche Privatinitiative habe ich nichts, so was muß man unterstützen. Aber: Wenn sie sich wenigstens vorbereitet hätte! Warscheinlich ein Akt der Selbstverwirklichung, auf meine Kosten. Diese Damen leiden unter Zuhördummheit, die sich mit Neugier paart.«Wird das hier mal zugebaut?»-«Wie heizen Sie das?»-«Wer spielt hier Flügel ?»- Solche Fragen dienen noch nicht einmal der Wahrheitsfindung. Manchmal nähere ich mich ihnen verlottert, zuweilen aber auch geschniegelt und gebügelt. Sie sollen sich mit mir nicht auskennen. Heute kam ich der Dame im Hausmantel entgegen, weinrotes Kaschnee im Ausschnitt, einen Goetheband (Cotta 1832) zwischen zwei Fingern und außerdem
wackelte ich auf spezielle Weise mit dem Kopf, das akzeptierte sie ohne weiteres. Auf ihrem Schüler-Tonbandgerät wird es keine Spuren hinterlassen.
Thomas Bernhard ist gestorben. Ich habe ihn nur ein Mal kurz gesprochen, im Foyer des Frankfurter Hofs saß er. Er trug eine nagelneue braune Manchesterhose, ich will nicht gerade behaupten, daß sie gebügelt war … stand auf, als ich ihn begrüßte. Leider hatte ich nicht den Mut, ihm mein Poesie-Album hinzuhalten. Bleibt eine TV-Erinnerung an ihn: Er sitzt auf einer weißen Parkbank unter einer Trauerweide.
Das Stück«Über allen Wipfeln ist Ruh’»: Der Schriftsteller, Traugott Buhre, der zusammenzuckt, als ihn der Verleger um einen Vortrag über den«Roman an sich»bittet.
«Der Weltverbesserer». Minetti.
Irgendeine Sache von einem Friseur. Der erbt irgendwie alles. Als junger Mensch habe
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