Alkor - Tagebuch 1989
fabelhaftes Chalet angeht: Er habe schon ganz andere Häuser gesehen, sagte er, die Zimmer inspizierend. Das glaube ich gern. Ich auch! Viele beschissene. Im Verlag habe jeder eine Leiche im Keller. - Was das nun wieder heißen soll?
Für das«Echolot»schlägt er nun eine luxuriöse Ausstattung vor, ich hatte gemeint: franz. Broschur. - Zu den«Hundstagen»hat
er gesagt:«So was kann man viel besser machen», oder:«Das ist schon viel besser gemacht worden.»Ist es denn?
2000: Inzwischen sind in anderen Verlagen noch einzelne Titel der Biographischen Reihe erschienen:
«In Träumen war ich immer wach», Das Leben des Dienstmädchens Sophia. Dietz-Verlag
«Im Strom der Gezeiten». Vom Windjammer-Moses zum Dampfer-Kapitän. Kabel-Verlag
«Der Klassenrundbrief». 1953 -1989. Leske & Budrich Mein«Sisyphus»besteht aus drei Teilen:
I. Die unabhängigen Biographien (12)
II. Die Chronik
III. Das«Echolot»
Das sind drei Komplexe, die einander bedingen und ergänzen. Ist das so abwegig? Wenn ich das jemandem erkläre, sieht er zur Seite. - Wo andere Leute den«Versuch eines Fragments»schreiben (und dafür Preise über Preise einheimsen), nimmt sich der Mann aus Nartum Kolossalbauten vor. Das wird’s sein. In einem Zeitalter der Zweieinhalb-Minuten-Kultur ist so etwas verdächtig.
In Bremen besuchte ich für ein Stündchen die Sammler-Börse, ein harmloses Vergnügen. Ich sah die Ansichtskarten durch und fand allerhand von Rostock, kaufte auch eine Münze für meine kleine Sammlung, einen Rostocker Sesling von 1676 für 38 Mark. Kam mir wie ein Heimatvertriebener vor.
Dorfroman: Ich stellte den Hühnern eine Schale mit Wasser hin. Erst kamen sie gelaufen, dann guckten sie mit schiefem Kopf, ob ich verrückt bin? Sie erkannten das Wasser nicht, dachten, das sei eine leere Schüssel. Bis eines der Hühner hineinpickte, und da ging’s aber los, sie haben die kleine Schüssel zweimal leergesoffen. Es heißt, daß jedes Huhn pro Tag einem viertel Liter Wasser braucht. All solche Zahlen.
Nartum
Mo 27. Februar 1989
Bild: Kündigungswelle nach neuem Urteil/Hilfe!/Mein Vermieter setzt mich raus!
ND: 9,6 Millionen Mitglieder des FDGB wählen Leitungen
Gestern Lesung vor Landfrauen in einem Heimatmuseum, einem wiederaufgebauten Bauernhaus. Das Flett scheußlich, kleine Steine hingeschüttet und mit Mörtel verkleistert, statt das Muster zu rekonstruieren. Alles sehr häßlich, Würste-Attrappen über der Feuerstelle, deren Schornstein natürlich zugemauert ist. Im Dachgeschoß das übliche alte Handwerkszeug usw. Zwei schöne Trachten in einer Vitrine: Trauerkleidung einer Frau, schwarz mit weißer Schürze. Das sei die tiefste Trauer, sagte der alte Mann, der mich führte.
Das Publikum kam vom Acker, leicht angeblödet, kein Zeichen von Sympathie, steif.
Eisiger Wind. Die Katzen wälzen sich auf dem Teppich. Hildegard meint, die merken, daß es sich um schöne Teppiche handelt. Der Munterhund guckt griesgrämig zu.
Hannover, 18.30 Uhr. Literatursitzung. Bahlsenkeks und Thermoskaffee.
Ich versuchte die Leute beim Abendessen auszuhorchen nach Plankton, kleinen Geschichten also. Kam nicht viel.
Nartum
Di 28. Februar 1989
Bild: Tägliche Scheidung/9200 Morde und Selbstmorde/Heute Krisensitzung im Rathaus/Momper: Zweifel an AL/Platzt Rot-Grün?
ND: Erfolgreiche Kommunalpolitik Thema der Volksaussprache
Rechnung über Hühner- und Katzenfutter (Dokat-Menü): 73 DM.
In der Nacht stieg ich ins Archiv und holte meine Zettel-Pappkartons hervor. Im Bett sortierte ich das Plankton. Es sind Hunderte, ja, vielleicht Tausende von Erzählpartikeln. Alles Belanglosigkeiten im Sinne der modernen Menschheit. Aber voll Gemüt und Blut und Leben. Lernen kann man wohl nichts daraus, aber man wird angeregt, über sich selbst nachzudenken. - Wenn ich dabeibleibe und jeden Menschen nach seinen Geschichtchen frage, dann wird hier eine einzigartige Sammlung entstehen: Plankton.
Mit etwas zu beginnen, ist es nie zu spät.
März 1989
Nartum
Mi 1. März 1989
Bild: Diepgen: Morgen Rücktritt/Wohlrabe: Neuer Parlamentspräsident /Rasch nicht mehr FDP-Chef/Geisterfahrer fuhr Prinzessin tot
ND: Demokratische Volksaussprache zur Vorbereitung der Kommunalwahlen
Heute früh wurde ich vom Schornsteinfeger geweckt. Muß auch sein. Schade, daß man sich selbst nicht mal mit so einer Kugel von oben bis unten durchreinigen lassen kann. Und schade, daß ich nicht abergläubisch bin. - Weibliche Schornsteinfeger gibt’s
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