Alkor - Tagebuch 1989
Eine realisierbare Zeitmaschine. Aber was folgt daraus?
Ich habe jetzt so reiche Tagebuchbestände, daß ich aus dem Vollen wirtschaften kann. Herzzerreißendes.
Plötzlicher«Kälteeinbruch», wie das im Wetterdeutsch heißt.«Umlaufende Winde».
Ach, könnte ich mich doch einschließen, aber dann käm’ ja keiner.
Das Echo auf das letzte Seminar ist sehr erfreulich. Ich bekam per Fleurop sogar einen Blumenstrauß, zwei Gläser Quittenmarmelade und ein Seidentuch. Dazu etliche Briefe. Es scheint so, als ob die neue Lösung mit den Autoren-Vormittagen gut ankommt. Es muß ja auch ekelhaft sein -«Tadellöser»hin oder her -, immer meiner quäkrigen Stimme lauschen zu müssen. Daß der Peterpump hier nicht zu haben ist, kriegen sie schnell mit. - Ich stellte mich in einem unbewachten Augenblick vor den Spiegel und probierte das Seidentuch aus. Haut nicht hin. Ist mir auch zu kühl am Hals und verrutscht ständig.
Wenn man zum 20. Mal das Es-Dur-Klavier-Konzert gehört hat, dann reicht’s irgendwie. Ich kann nur noch Quartette ertragen, heute Dvořák.
TV: Endloses über die RAF. Daß die Leute noch immer leben! Boris Becker mit changierendem Jackett, er arbeitet gern mit Kindern, sagt er. Ich find’ den Mann OK.
Ein U-Boot-Film wie von der Ufa, nur blöder: mit Ronald Reagan, dies Herumhängen am Seerohr. Das hat mich schon in«U-Boote westwärts»gelangweilt, eine Art moderner Mauerschau. Wasserbomben wie Benzinfässer, die unmittelbar neben dem U-Boot explodieren, und nichts passiert. Dazu dann Schifferklavier. In Ufa-Filmen machten die Leute einen Kreidestrich bei jeder Wasserbombenexplosion.
Und Carl Raddatz im«Brandtaucher»ließ gerade einen fahren, als er sich durch die Luke rettete. Das perlte so nach oben.
Sehnig-tapfere Frauen.
«Der Fremde im Zug». Ehrliche Freude empfunden, daß das kurzsichtige Weib erwürgt wird.
Rock- und Pop-Gedudel im Radio auf allen Kanälen (Änderung des Programm-Schemas, mehr«Schmissigkeit»). Wie mit einer Vierlingsflak beeiern sie uns.
Gestern Talk-Shows, die wie Verhöre wirkten. Unabhängigkeit Deutsch-Südwests ist jetzt das Thema Nr. 1,«Namibia». Fidel Castros Drei-Stunden-Rede vor halbleerem Saal.
Unglaubliche Sendung über ein mecklenburgisches Dorf. Daß die Leute sehr zufrieden sind mit ihrer LPG -Existenz. Habe schnellstens abgeschaltet. Nicht das Wunschdenken wird befriedigt, sondern das Befürchtungsdenken geweckt.
Sendung über ein Nonnenkloster. Ganz beschaulich. Aus Enttäuschung Nonne werden, das gehe nicht gut. Aus Berufung, das klappe schon eher, sagen die Carmeliterinnen in Dachau. Vor Hitlers Geburtshaus in Braunau soll ein Granit-Quader aus Mauthausen aufgestellt werden, als Mahnmal. Warum nicht schon längst. Aber: Wen mahnt’s?
Beerdigung von Zita mit Deutschlandlied.
Jetzt versauen uns US-Filme das Leben. Fred Astaire, dieser dürre Mensch. Gegen den darf man nichts einwenden.
Nartum
So 2. April 1989
Welt am Sonntag: Lambsdorff drängt auf Umbildung des Kabinetts /Kanzler Kohl um 14 Pfund leichter aus Oster-Urlaub zurück/Dienstag Koalitionsrunde
Sonntag: Was wir heute brauchen. 35. Erweiterte Tagung des Beirates für Umweltschutz beim Ministerrat der DDR. Von Wolfgang Sabath
T: Die Schule wird abgerissen und genauso, aber sehr viel größer wieder aufgebaut.
Choralvorspiel«Es ist gewißlich an der Zeit»von Pachelbel auf meiner kleinen Orgel.
Da wird das Lachen werden teu’r,
wenn alles wird vergehn im Feu’r.
Es sei unintellektuell, skeptisch in die Zukunft zu schauen, wird uns zu verstehen gegeben. Pessimismus sei eine Art von Dummheit. Völliger Quatsch. Ich bin ein Optimist, der sich nicht traut. In der Nacht begann ich die Tagebuchauszüge für«Sozusagen Sowtschick» 3 aus Briefen und Notizheften zu ergänzen und zu sortieren. - So wie sie sich bisher darbieten, interessieren sie keinen Menschen.
Sozusagen Sowtschick
Materialien, Gedanken, Fragmente.
Das wäre ein guter Titel. Materialien? Wen interessieren schon Materialien?
Am Abend suchte ich aus der«Hundstage»-Ablage noch allerhand Geeignetes heraus.
Sonderbare Orchestrierung der schlagerhaften Bachschen«d-Moll-Toccata»und Fuge von Stokowski: Trommelwirbel, Bekkenschläge.
Unglaublich. Ich hab’s auch schon für Akkordeon gehört.
Kaschnitz,«Engelsbrücke». Eine ganz außerordentliche Frau. Im Oktober 1974 ist sie gestorben. - Ärgerlich, daß in ihren Tagebüchern keine genauen Datumsangaben … Ich weiß nicht, ob das«typisch weiblich»ist,
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