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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dem Haus im Sande badete. Die Jungen standen dabei, ab und zu mit den Flügeln zitternd, wodurch sie wohl andeuteten, daß sie Hunger haben. Diese Sippe müßte uns eigentlich sehr dankbar sein, denn sie lebt von unsrem Hühnerfutter. - Sperlinge seien schwer in einer Voliere zu halten, heißt es. Komplizierte Tiere.

Nartum
Mo 29. Mai 1989
    Bild: Flugzeugflucht / Er wurde rausgeholt
    ND: Gelöbnis von 168 000 für ihr sozialistisches Vaterland/Jugendweihen 1989 beendet
     
    Büromaterial in Rotenburg: 174,20 DM. Glattes Schreibpapier, auf dem man mit einem Füllfederhalter schreiben kann, gibt es nicht mehr. Auch keine eleganten Notizbücher. Früher gab es
welche in Leder mit«Notice»in Gold vorne drauf. Meine Mutter hatte ein winzig kleines in der Handtasche. Ob sie je etwas hineingeschrieben hat? Lederne Notizbücher mit Goldschnitt: das müssen kostbare Gedanken sein, die man da einträgt. - Blindbände.
    Bei einem unfreundlichen Italiener ungenießbares Zeugs gegessen, so Mehlgemansche. - Deutsche Vertreter am Nebentisch lachten dem Wirt radfahrerisch zu, als ich um das Abstellen der Musik bat. Radfahren ohne jeden Grund. Sie hatten doch gar nichts davon? Warum ergriffen sie nicht meine Partei?
    Gegen italienische Musik hätte ich nichts gehabt. Aber ein laut gestelltes Radio mit unverständlichen Nachrichten? Und hinterher Reklame? Das Abstellen der Musik hätte im übrigen nichts genützt, denn sowohl Espressomaschine als auch Kühltruhe machten speziellen Lärm. - Gott sei Dank, daß ich noch nie in Italien war. Das Buch von Joachim Fest hat mir gereicht. - Ravenna und Pisa würden mich schon reizen.
    Von den Goethe-Instituten in Italien bin ich noch nie eingeladen worden. Die Konsequenz, mit der sie mich schneiden! Warum? Afrika, Asien, Australien, Frankreich, Südamerika. Nix und nie. Bin ich denn so unwichtig? - Auch Villa Massimo nicht. Wer da alles schon über den Kies geschritten ist… - USA allerdings mehrmals.

Nartum
Di 30. Mai 1989
    Bild: Eichkamp/Pferdemillionär auf Scheiterhaufen verbrannt
    ND: 850 Jugendliche der DDR fahren nach Phjòngjang zu den XIII. Weltfestspielen der Jugend und Studenten
     
    Ein schlechter Tagesanfang. Da ich allein zu Haus war, mußte ich zunächst einmal die Tiere füttern usw. Die gelbe Katze ist krank, die bunte verschwunden. Ich entdeckte sie in Renates Bett (man hat sie gestern Mittag dort eingeschlossen!), und sie hat gejungt,
drei kleine schreiende Wesen, schwarz, gelb und bunt. - Der Munterhund stand inzwischen schon auf der Lauer, er wollte, daß ich mit ihm spazierengehe. Also das. Dann die Hühner, die schon am Zaun warteten. Inzwischen Telefon, dann Kaffee und schreiende Verhandlungen wegen der Katzen. Es war 10 Uhr geworden mittlerweile, und ich entdeckte mit Schrecken, daß die Post noch nicht frankiert und rausgelegt worden war. Nun, 10.30 Uhr, endlich im Garten, inmitten stinkender Vogelbeerbäume, um Ruhe ringend, immer«in Erwartung einer Gehirndetonation», wie Paul Kersten sagt. - Nicht, daß die Zustände unhaltbar wären, aber manchmal hadert man doch.
    Die Katzenmutter hatte gestern Nachmittag, vor ihrer Niederkunft, was mir erst jetzt einfällt, ein besonderes Liebesbedürfnis. Sie versuchte, mit der Gelben zu schmusen. Im Augenblick versucht die Gelbe, mich am Schreiben zu hindern.
    Dorfroman: Eben war ich noch einmal bei der Katzenmutter. Ich lag bei ihr, und sie schnurrte. Die drei kleinen Fellchen, mit hoher Stirn. Das sind normale Hauskatzen, Dorfkatzen. So etwas wie einen normalen Dorfhund gibt es nicht mehr. Er würde vermutlich im Aussehen zwischen Schäferhund und Fuchs liegen. Dingo-artig. - Die gelbe Katze hier im Garten schnurrt vor Lebenslust. Gestern noch irgendwie krank, von mir aus der Hand gefüttert, heute rast sie die Bäume hoch und läßt sich ins Gras fallen. - Die Hühner bleiben rätselhaft. Der Hahn, der gestern auf der Hundehütte stand und krähte, schon ganz zutraulich, hat neuerdings wieder Bedenken. Scheucht seine Frauen. Kamm und Schlackerbart färben sich dunkelrot. Man hat Respekt vor ihm. Um nicht Angst zu kriegen, muß ich jeden Tag zu ihm hingehen und mit ihm sprechen, von Mann zu Mann. - Die Hennen guckten mich heute besonders interessiert an. Wie schade, daß wir nicht schon viel eher Tiere hielten. Sehr gern möchte ich auch Ziegen haben. - Der Munterhund respektiert die Hühner. Wenn ich sie füttere, sieht er interessiert zu. - Das Magere unter dem Federkleid. - Der Garten hat sich

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