Alkor - Tagebuch 1989
ins«Parkartige»entwickelt. Ich finde es schade, daß mich nicht mal ein Reporter per Tele fotografiert, zwischen den Büschen hockend,
wie ich da mit Strohhut auf dem Kopf in meinem Spezialstuhl sitze und schreibe. Statt Whisky allerdings Limonade auf dem Tisch. Vermutlich ist es das.
Flieder ist abgeblüht, Lupinen kommen. Abends Himmels-Symphonien. Ich sitze, bis es vergeht, aber es vergeht nicht. Nacht schiebt sich hell darüber.
Noch lange Klavier gespielt.
Nartum
Mi 31. Mai 1989
Bild: Diese Berlinerin lebte halbes Jahr neben totem Ehemann / Kein Visum mehr für USA / Bush-Geschenk für alle Deutschen
ND: Menschenrechte in der DDR für alle Bürger erlebbar
Noch zu Hildegards Klassentreffen: die kolossale Häßlichkeit der Menschen, aber wenn man sie länger und mit Liebe anschaut, wird das Herz eben doch warm. Es sind ja alles fleißige Frau Sorges. Über jede einzelne könnte man ein Buch schreiben. Die Hieroglyphen der Gesichtsfalten sind nicht entschlüsselbar. Und im Buch des Lebens können/dürfen wir nicht lesen, das ist dem letzten Tag vorbehalten.
Juni 1989
Nartum
Do 1. Juni 1989
Bild: Abtreibung / Zwilling vergessen - er lebt
ND: Brüderliche Beziehungen entwickeln sich allseitig und dynamisch
Wetter ist«gut». Weiße Wirbel über tiefem Blau. An den Blick aus einem Satellitenfenster muß ich denken. - Jeden Tag zwei symphonische Ereignisse. Morgens, wenn ich mir die Hosen anziehe, der Blick aus dem Klofenster über die Wiesen zum Wald hin, und abends der Spazierweg ins Abendrot. Und immer das Bewußtsein, mich selbst«von oben»zu betrachten.
Ständig Schwierigkeiten mit dem«Olivetti»-Drucker, vorgestern und gestern verschwanden zwei Texte, weil er nicht funktionierte und ich noch nicht gespeichert hatte. Bin ganz außer mir. Obwohl es keine andere Möglichkeit gibt, die Texte auszudrucken, kommt mir die Maschine schon jetzt so vor, als sei sie aus dem vorigen Jahrhundert.
Leibschneiden. Mit einer Decke um die Füße auf der Galerie gefrühstückt und in den taunassen Garten geguckt. Nicht zu begreifen, daß wir das alles selbst angepflanzt haben. Egon, der Buchfink, holt sich seinen Obolus. Hildegard nennt ihn«Bruno», vielleicht heißt er ja auch tatsächlich so.
«Das Drumherum ist gegeben», sagte der Gärtner. Wir hatten ihn für die weitere Gartengestaltung herangezogen, aber er stellte sich bald als Blindgänger heraus. Der kam wohl nur, um sich hier mal umzusehen, der Neugier wegen. Den zitierten Satz hat er vier- oder fünfmal abgelassen:«Das Drumherum ist gegeben.»Den hatte er wohl noch aus seiner Lehrzeit.
Das Palmenhaus ist endgültig gestorben. Ich sah mich schon, von
Vögelchen umschwirrt, an der Orgel sitzen, unter Palmen, und dann schscht! - automatische Bewässerung der Pflanzen.«Dies ist unser Palmenhaus.»- Hildegard hat’s letztlich entschieden: Sie könne sich nicht noch mehr aufhalsen. Dafür wurden auf dem Rostocker Hof nun Kugel-Ahorn-Bäume à la Landgasthaus gepflanzt, die mir mit ihren Kronen Sonnenschutz liefern werden.
Von Piper die Buchankündigung der Morgenstern-Anthologie. Demütigend anders, als von mir vorgeschlagen, 20 verschiedene Knie auf dem Cover!
«Ein Flop geht einsam durch die Welt»,
so könnte man das Desaster nennen.«Kräuterschaum»wäre doch ein hübscher Titel gewesen. Das Wertvollste an der Sammlung ist die Korrespondenz mit der Prominenz. Herburger schrieb auf eine Antwortpostkarte:«Nix Kräuterschaum.»Witzig und zu respektieren. Günter Kunert:
FÜR WALTER KEMPOWSKI
K. erfindet, was der Welt grad fehlte:
Eine Sammlung voll von Interpretationen
Morgensternscher Nonsensverse. Ungezählte
Deuter aller Länder, aller Zonen
führt die K’sche Sammlung stolz zusammen,
welche, ausgelesen, jedermanns Bewußtsein weitet.
Und nur jener Ignorant bleibt zu verdammen,
welcher, ungekauft sie habend, dumm entschreitet.
Koblenz schickte das Material für die Goebbels-Sache (Pressekonferenzen des Propagandaministeriums) schon vorgestern. Das nenne ich flott! Habe mich sofort darüber gemacht; an die unsinnigsten Sachen hat die«Führung»gedacht. Der Tod eines Opernsängers mußte unbedingt erwähnt werden, so die Direktive aus dem Propagandaministerium mitten im Krieg.
Habe genug im Kopf:«Mark und Bein»,«Sirius»,«Echolot»,«Goebbels», dazu (Groß-Lösung) Hausverkauf, Archivverkauf, Vorschußangelegenheiten. Das sind die Aktivitäten, die hier in
der Gegend rumhängen, und ich kann mich nicht dagegen wehren. Nur
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