All die alten Kameraden: Kriminalroman aus der Eifel (Opa Berthold) (German Edition)
Eine kleine Episode im Krieg, weit abseits der großen Geschichte, wie sie in den Büchern steht.«
Er machte eine kleine Pause, in der ein Übersetzer den amerikanischen Gästen das Gesagte auf Englisch wiederholte. Der Redner konsultierte nochmals seinen Spickzettel und sprach dann in feierlichem Ton weiter: »Und dies geschah auf einem Schlachtfeld, wo etwa siebzigtausend Männer starben. Wir sprechen von einem Schlachtfeld, auf dem es oft mehrere Tage und Nächte keine Feuerpause gab. Wir sprechen von einem Schlachtfeld, wo dann manchmal keine Gefangenen mehr gemacht wurden. Auf einem solchen Schlachtfeld menschlich zu bleiben, ist eine persönliche Stärke des Einzelnen, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.« Nochmals eine Pause, gefüllt durch das Gemurmel des Übersetzers.
»Und darum gedenken wir hier und heute des mutigen Leutnants Friedrich Lengfeld, der für uns alle, Deutsche wie Amerikaner, ein Vorbild war, ist und immer sein wird. Er hat uns gezeigt, was möglich ist an Menschlichkeit und Tapferkeit. Eine Tapferkeit nämlich, die inmitten des schlimmsten Tötens, im Grenzbereich des überhaupt Erträglichen, Leben rettet, und nicht die Art von Tapferkeit, die Leben auslöscht und für die man leider doch oft sehr viel eher einen Orden erhält. Friedrich Lengfeld ist ein Held der Menschlichkeit und der Versöhnung. Kein Mensch hat mehr Liebe als der, der sein Leben hingibt für seine Feinde. Und deshalb stehen wir heute hier und ehren diesen Mann, der soweit ich weiß der einzige deutsche Soldat des Zweiten Weltkrieges ist, dem die ehemaligen Feinde, die heute hier als Freunde stehen, ein Ehrenmal gewidmet haben. Ein besonderer Dank gilt hierfür den Veteranen der 4. US-Infanterie-Division. Und so bin ich doppelt dankbar, dass unsere lieben Gäste aus Amerika heute wieder auf diesem historischen Boden stehen und mit uns gemeinsam unserer Toten gedenken. Und mehr möchte ich auch nicht sagen, getreu dem Motto: Taten statt Worte.«
Manfred Becker verzog einen Mundwinkel und murmelte sehr leise, aber verächtlich: »Dann hättest du dir das dumme Gefasel auch sparen können.« Mit kaltem Blick beobachtete er, wie ein Kranz vor dem Gedenkstein niedergelegt wurde, während der Übersetzer die letzten Sätze des Redners wiedergab. Daraufhin wurde auf Englisch ein Gebet gesprochen, dessen Inhalt Manfred Becker nicht interessierte und dessen Wortlaut er auch nicht verstand. Dann löste sich die Menge auf. Man ging in kleineren Gruppen weiter in das Gelände des Ehrenfriedhofs hinein. Dort, auf einer weitläufigen grünen Wiese, umringt von einem hohen Kranz dunkler Bäume, standen viele hundert steinerne Doppelkreuze aufgereiht. Nicht schnurgerade und schachbrettartig, sondern in sanften Wellen vielfach nebeneinander angeordnet, liefen die Reihen auf ein vielleicht fünf oder sechs Meter hohes Hauptkreuz zu, das am anderen Ende des Totenackers in den Himmel ragte. Manfred Becker erinnerten die vielen Kreuze an mit grauem Schlamm bedeckte Infanteristen, an eine Menge aufeinanderfolgender Angriffsreihen, die durch die steilen Anhöhen des Hürtgenwaldes und durch das Maschinengewehrfeuer der feindlichen Stellungen wellenförmig verformt wurden. Wenn eine Welle sich im Feindfeuer gebrochen hatte, schob sich bereits die nächste Welle heran, über die gestrandeten Reste der Vorgänger hinweg. Sobald der Hügel überspült und genommen war, schwappte das Meer der Gewalt zurück, und die gegnerischen Reihen vollführten das gleiche Schauspiel in umgekehrter Richtung. Endloses Spiel der Gezeiten, das hier in Form beschrifteter Kreuze versteinert war und welches die Toten hier immer und immer wiederholen mussten. Vielleicht auch die Lebenden. Becker wischte das Bild beiseite und konzentrierte sich nun auf seine Aufgabe. Er fixierte einen amerikanischen Veteranen nach dem anderen, versuchte möglichst nah an ihnen vorbeizuspazieren und Gesprächsfetzen aufzunehmen. Er ging vorbei an einem grün verwitterten Stein, der an die Toten der Ostfront gemahnte, dann weiter vorbei an einem Stein, unter dem ein Soldat namens Erich Behling und acht weitere unbekannte Kameraden auf weitere Befehle warteten. Die silbergraue Friedhofslampe mit dem dicken, undurchsichtigen gelben Glas vor dem Doppelkreuz enthielt keine Kerze, zumindest keine brennende. Becker war froh darüber, denn das wellige, honiggelbe Glas sah aus, als sei der zähflüssige Inhalt einer Phosphorbombe darübergelaufen und könne sich jeden Moment
Weitere Kostenlose Bücher