All die alten Kameraden: Kriminalroman aus der Eifel (Opa Berthold) (German Edition)
Karabiner an Nicks Kopf und drückte ab. Harry rannte bis zu dem nächsten Posten und übergab sich, sobald er in Deckung war.
Jetzt schüttelte er sich und trank den Kaffee aus, um den schalen Geschmack aus seinem Mund zu spülen. In den nächsten Stunden, bis zum Einbruch der Nacht, drängten sie die Deutschen bis an den Ostrand des Ortes zurück. Harry hatte gehofft, dabei auf jenen deutschen Soldaten zu treffen – tot oder lebendig. Doch er fand ihn nicht. Am Morgen des 8. November betrachtete er alle toten Deutschen. Der Mann war nicht dabei. Gefangene hatten auch sie an diesem Tag nicht gemacht.
Harry ging zu seinem Koffer und öffnete eine Tasche. Dort holte er ein Päckchen heraus. Es bestand aus einem sorgfältig zusammengefalteten, leicht nach Öl riechenden Tuch. Als er es auseinanderschlug, leuchtete matt seine Colt Government Kaliber 45. Er überprüfte die Hauptsicherung sowie die zusätzliche Griffsicherung der Pistole. Dann holte er ein Magazin aus der Tasche und überprüfte den Inhalt. Sieben Projektile waren darin. Eine achte Patrone lud er direkt in den Verschluss ein. Sicher ist sicher, dachte Harry. Dann steckte er das Magazin in den Griff. Das Klicken beim Einrasten hatte eine beruhigende Wirkung. Harry musste lächeln. Es hatte Vorteile, den Flugdienst der US Air Force zu nutzen. Sonst hätte er die Waffe kaum mitbringen können.
Liebevoll strich er mit den Fingerkuppen über den leicht eingeölten Stahl. Manche Kerbe hatte seine Fünfundvierziger davongetragen. Doch wie durch ein Wunder war er selbst unverletzt geblieben. Die Hölle im Hürtgenwald war für ihn vorbei gewesen, als er dem kleinen Flüsschen Kall entlang bis zu seiner Mündung in die Rur folgte. Zerkall hieß der Ort, in den er im Januar 1945 einfuhr. Zwei Monate Hölle für eine Strecke von drei Meilen Luftlinie. An diesem Tage endete für Harry Seguso das Grauen – in Form einer guten Tasse frischen Kaffees, die er von einem dreckigen, einsamen Jungen am Straßenrand bekam.
Doch der Krieg, dachte Harry, der war noch nicht vorbei. Nicht, solange es immer noch Dinge – oder Menschen – gab, die den Schatten der Vergangenheit auch auf das Heute warfen. Harry atmete tief durch und warf noch einen Blick in den dunklen Wald. Dann schloss er das Fenster. Er war müde.
13. Kapitel
Lorenz schaute ungläubig auf die Karte.
»Da sollen wir langgehen?«, fragte er und fuhr mit dem Finger über die Wegmarkierung, die Bärbel ihm gezeigt hatte.
»Klar, wieso nicht?« Bärbel lächelte ihn an. »Das ist nicht weit. Bedenke den Maßstab der Karte.«
Lorenz fuchtelte mit seinem Gehstock. »Und du bedenke meine Behinderung.«
Gustav lachte auf. »Den Stock brauchst du doch mehr als Waffe denn als Gehhilfe. Du bist nicht so alt, wie du vorgibst.«
Lorenz kratzte sich den Kopf. »Nun ja«, grübelte er. »Das ist aber wirklich weit.«
»Ach, nun miesepetere hier nicht herum. Genieße lieber diese herrliche Aussicht!«
Sie standen an der Kuhkopfhütte und blickten den Mausauel hinunter auf den Stausee Obermaubach, der mehr als zweihundert Meter unter ihnen in der Sonne glitzerte. Rings um das lang gezogene Staubecken ragten steile, dicht bewachsene Uferhänge auf und bildeten einen weiten grünen Kessel. Bärbel fuhr nun ebenfalls mit dem Finger die Karte entlang, und Lorenz betrachtete mehr ihren zarten, fast mädchenhaften Finger als die Wegmarkierung.
»Schau«, sagte Bärbel und rückte ihre Sonnenbrille zurecht. »Hier geht es den Wanderweg hinunter nach Obermaubach. Dann über die Staumauer. Und da möchte ich den Alveradisstein suchen. Der muss da irgendwo stehen.«
»Den was?«, fragte Gustav.
»Kennst du die holde Alveradis nicht mehr?«, fragte Bärbel erstaunt. Als Gustav etwas unsicher dreinschaute, sagte sie: »Die nackte Gräfin mit dem Honig im Käfig und so weiter.«
»Ah!«, rief Gustav aus. »Natürlich, ich erinnere mich. Opa Bertold erzählte Schweinkram aus dem Mittelalter.«
»Banause«, knurrte Lorenz.
Bärbel lachte und meinte: »Los, lasst uns weitergehen. Jetzt geht es erst mal nur bergab.«
Sie wählten einen kleinen Jägerpfad, der erst quer zum Hang, dann aber recht zügig nach unten führte. Sie ließen sich dabei viel Zeit. Wenig später mündete der Pfad auf einen breiteren Wanderweg, dessen Markierungen ihnen die Richtung nach Obermaubach wiesen.
»Erstaunlich«, meinte Gustav. »Ich bin schon ewig nicht mehr so weit gegangen. Aber es geht wirklich gut. Und bei dir, Lorenz?«
Lorenz
Weitere Kostenlose Bücher