All the lonely people
sich professionelle Hilfe
M it den bisher genannten Möglichkeiten haben Sie bewährtes psychologisches Handwerkszeug, um sich selbst weitgehend von den Altlasten der Vergangenheit zu befreien. Ich bin davon überzeugt, dass man selbst viel verändern kann, wenn man mit festem Willen, Disziplin und Mut sein Ziel anstrebt.
Trotzdem gibt es auch gute Gründe, sich fachliche Unterstützung zu suchen: Wenn Ihre Verletzung so schwer war, dass Sie sich nicht ungeschützt noch einmal damit befassen möchten, etwa bei sexuellem Missbrauch oder alkoholkranken Eltern. Oder wenn Sie immer wieder die gleichen schlechten Erfahrungen machen und einfach nicht herausfinden, was Sie eigentlich ständig wiederholen. Manchmal haben wir einen blinden Fleck, den ein fachkundiges Gegenüber leichter auflösen kann. Scheuen Sie sich nicht, gegebenenfalls Hilfe von außen zu suchen.
Lassen Sie los
G ehen wir davon aus, dass Sie die Geduld und den Mut aufgebracht haben, sich mit Ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Falls Sie weit genug vorgedrungen sind - ob allein, mit Freunden oder einer fachlichen Betreuung –, dann hat Sie das tief berührt. Und das ist auch gut so, denn ohne Gefühl bleibt die Rückschau eine rein intellektuelle Beschäftigung. Es ist nötig und wichtig, die alten Gefühle nicht länger zu verdrängen. Dafür muss genügend Raum zur Verfügung stehen. Doch irgendwann sollte dieser Prozess abgeschlossen sein. Das heißt nicht, dass nie wieder Schmerz hochkommt oder dass wir uns keine professionelle Hilfe mehr holen dürfen, nach dem Motto »Ich bin jetzt damit durch.« Das wird vermutlich nie der Fall sein. Unsere Wunden bleiben uns lebenslang bewusst und können auch heute wieder aufbrechen. Nein, ich meine damit, dass Sie die Vergangenheit nicht mehr als Alibi dafür heranziehen, dass Sie in der Gegenwart passiv bleiben.
Leonie, eine 29-jährige Bankerin, ist unzufrieden mit ihrem Leben. |51| Sie nimmt ihren Eltern immer noch übel, dass sie nicht studieren durfte. »Du heiratest ja doch mal«, hatte ihr Vater gemeint, und ihre Mutter hatte dazu geschwiegen. Ihrem jüngerer Bruder, der nicht halb so interessiert war wie sie, wurde die akademische Ausbildung förmlich nachgeworfen. Nach einigen verbummelten Semestern hat er sein Studium der Theaterwissenschaft abgebrochen und jobbt jetzt in einer Werbeagentur. Das ist für Leonie bitter, aber trotzdem sollte das kein Grund sein, den Eltern bis in alle Ewigkeit Ungerechtigkeit vorzuwerfen und ihnen ihre Ignoranz mit dem Scheitern des eigenen Lebens zu beweisen. Sinnvoller ist es, einen Strich unter die Versäumnisse der anderen zu ziehen und zu überlegen, was man heute selbst tun kann. In Leonies Fall bietet sich beispielsweise ein berufsbegleitendes Studium an.
Der beste Weg, mit der Vergangenheit abzuschließen, ist, denen zu verzeihen, die daran beteiligt waren. Wohlgemerkt: Damit rede ich nicht einer Friede-Freude-Eierkuchen-Einstellung das Wort. Ich bin sehr skeptisch gegenüber den edelmütigen Menschen, die zu schnell sagen: »Alles vergeben und vergessen.« Ich finde es sehr schwer, gerade frühe Versäumnisse zu verzeihen. Schließlich ist es schlimm, wenn man für Jahre bei der Großmutter abgegeben wurde, weil die Eltern sich noch nicht reif für ein Kind fühlten. Oder wenn man keine Jugend hatte, weil man als Teenager den Babysitter für die kleinen Geschwister machen musste. Nachdem wir jedoch bewusst gesehen haben, was damals war, ist Verzeihen der einzige Weg, die Bitternis aus dem Herzen zu verbannen und endlich frei zu werden für das eigene Handeln. Wenn Sie sich alles angeschaut, sich ausgeweint und ausgewütet haben, übernehmen Sie die Verantwortung. Indem Sie die Wurzeln für die heutigen Probleme kennen, können Sie sich auch darum kümmern, sie auszureißen. Dann sind Sie wirklich so weit, zu sagen: »Meine Vergangenheit ist Schnee von gestern.«
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Die Masken der Einsamkeit
K leiner Test: Angenommen, Sie sitzen mit diesem Buch in einem Straßencafé oder in der U-Bahn und jemand fragt neugierig, was Sie denn da gerade lesen. Wie schwer fällt es Ihnen, zu sagen: »Ich lese etwas über Einsamkeit?« Ich vermute, es wäre Ihnen – wie den meisten Menschen – peinlich, wenn alle Welt wüsste, dass Sie sich aus persönlichen Gründen mit dem Thema befassen. Wir geben uns reichlich Mühe, das zu kaschieren, denn Einsamkeit erscheint uns oft schlimmer als eine ansteckende Krankheit. Dieser Einstellung kann man sich kaum
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