All the lonely people
zumindest die Verantwortung dafür abzuweisen.
Eine gängige Form, Einsamkeit zu leugnen, ist sie zu rationalisieren. Wir sagen zum Beispiel gerne: »Mein Job ist so stressig, dass ich einfach keine Zeit habe, jemanden kennen zu lernen.« Häufig gehen wir auch nach dem Fuchs-Prinzip vor. Sie kennen gewiss das Sprichwort: |57| »Der Fuchs, dem die Trauben zu hoch hängen, sagt, sie seien zu sauer.« Wenn man etwas nicht haben kann, macht man es schlecht. In diesem Sinne beschweren wir uns: »Es gibt einfach keine guten Männer mehr.« Oder »Frauen sind doch nur auf Geld und tolle Autos aus.« Falls sich der Wunsch nach einem Freundeskreis noch nicht erfüllt hat, hört sich das bei Frauen manchmal so an: »Mit Frauen kann ich einfach nicht, die sind mir zu stutenbissig.« Bei Männern: »Ich habe keine Lust auf dieses Gelaber am Tresen. Vereinsmeierei liegt mir auch nicht.« Vor allem aber müssen die Umstände herhalten. Wir und einsam? Na ja, vorübergehend, weil wir gerade umgezogen sind. Wenn wir uns erst einmal eingelebt haben, dann gibt sich das schon wieder. Oder: Seit diese herzlose Person uns damals verlassen hat, sind wir eben misstrauisch.
Sämtlichen Erklärungen ist gemeinsam, dass wir die Gründe für unsere Einsamkeit von uns auf die Umstände oder andere Menschen verlagern. Auf diese Weise müssen wir unserer Einsamkeit nicht ins Auge sehen.
Im Umgang mit anderen gehen wir über diese Rationalisierungen noch hinaus. Wir entscheiden uns dafür, unsere Einsamkeit zu übertünchen. Wir tragen eine Maske.
Die Funktion der Maske
I ch gebe zu, dass »Maske« erst einmal nach Falschheit, Betrug und Bankraub klingt. So ist das hier aber nicht gemeint. Die Psychodrama-Therapeutin Katharina Sommer beschreibt in ihrem Buch
Maskenspiel und Pädagogik
die Bedeutung einer echten Maske, wie sie beispielsweise im griechischen oder japanischen Theater benutzt wurde: »Die Ausdrucksqualität der Maske hatte ursprünglich die Funktion, eine Identität zu konstituieren oder eine bestimmte Seite der Identität zu zeigen, sichtbar zu machen. Sie bewirkt aber auch, dass damit andere Seiten zurücktreten. So entsteht das Moment der Verbergung.« 11
Auch im übertragenen Sinne gilt für uns alle, dass wir im Umgang mit anderen Menschen eine Maske tragen. Unser soziales Leben funktioniert nur deshalb relativ reibungslos, weil wir in der Lage sind, |58| unser Auftreten zu kontrollieren. Es würde sogar auf eine psychische Störung hinweisen, wenn wir unser Inneres immer und überall bloßlegten. Also verbergen wir unsere intimen Gefühle oder aktuellen Zustände aus gutem Grund hinter einer Maske.
Die Maske, die wir wählen, ist kein Fremdkörper. Sie ist ein echter Teil unserer Persönlichkeit, der durchaus auch in anderen Zusammenhängen auftreten kann. Unbewusst suchen wir uns genau diejenige aus, die am besten zu uns passt. Auf was wir zurückgreifen, hängt von unseren Fähigkeiten, von unserem Temperament und unseren Lebensbedingungen ab. Die einen geben sich zum Beispiel kühl und intellektuell, die anderen naiv, lebhaft oder witzig. Der eine tritt als Gentleman auf, der andere als großer Junge. Die eine erscheint mütterlich und warmherzig, die andere als Lady oder als guter Kumpel.
Masken können aber auch ganz bestimmte Funktionen haben, zum Beispiel eben die, Einsamkeit zu verbergen. Je länger eine Maske in einer bestimmten Funktion getragen wird, desto mehr verschmilzt sie mit der Person, die sie trägt. So kann es geschehen, dass uns die Maske gar nicht mehr als solche bewusst ist.
So bekommen Sie ein Gespür für Ihre Maske
M öglicherweise ist Ihnen nicht klar, wie Sie Ihre Einsamkeit vor anderen verbergen. Deshalb möchte ich Ihnen eine Übung vorschlagen, die Sie auf die Spur bringt und Ihnen zeigt, welche Funktion so eine Maske haben kann.
Dazu vorab ein Hinweis: Bitte halten Sie sich genau an die Anleitung der Übung. Wie jede Fantasiereise kann sie eine leichte Trance verursachen. Deshalb ist es wichtig, die einzelnen Schritte genau auszuführen und keinen zu überspringen.
Die Masken-Übung
• Suchen Sie sich einen ruhigen Platz, an dem Sie nicht gestört werden, und setzen Sie sich bequem hin.
|59| • Schließen Sie die Augen.
• Spüren Sie Ihren Atem, wie er sanft und kühl die Nasenlöcher hinein und wieder hinaus fließt, ohne dass Sie bewusst etwas verändern.
•
Tasten Sie mit den Händen Ihr Gesicht ab. Lassen Sie danach die Gesichtshaut ganz locker und
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