All the lonely people
hatte, mich loszureißen, rief er mir noch nach: »Vielleicht sieht man sich hier ja mal wieder!« Ich vermute, ihm war ziemlich egal, wer da eigentlich neben ihm gesessen hatte – Hauptsache, er war nicht allein. Und genau damit hatte er die Möglichkeit zu einer weiteren Bekanntschaft zerstört. Sobald ich ihn in den folgenden Tagen auch nur von weitem sah, bog ich schnell in den nächsten Seitenweg ab. Die Symptome, die mein Gesprächspartner zeigte, waren mir durchaus bekannt. Es handelte sich um den verhängnisvollen Kreislauf, den Einsamkeit in Gang setzen kann: Weil wir uns einsam fühlen, klammern wir uns an andere Menschen – und weil wir uns an sie klammern, bleiben wir einsam.
Kein Mensch lässt sich gerne vereinnahmen. Wir brauchen das Gefühl, unsere Kontakte freiwillig einzugehen und möchten selbst darüber bestimmen, wann wir andere treffen. Ausreden zu erfinden, Einladungen abzulehnen oder jemanden zurückzuweisen, ist ziemlich unangenehm. Falls man uns dazu zwingt, finden wir uns feige, unhöflich oder sogar grausam. Diese negativen Gefühle lasten wir dann unwillkürlich demjenigen an, der sie verursacht hat und meiden ihn entsprechend.
Hinzu kommt noch eine weitere typisch menschliche Eigenschaft: Gewöhnlich schätzen wir das am meisten, wofür wir uns anstrengen müssen. Was uns dagegen mühelos in den Schoß fällt, ist in unseren Augen oft nicht so viel wert. Ähnliches gilt auch für Bekanntschaften. Wir möchten ein bisschen erobern und mögen nicht, dass man uns nachläuft.
Trotz Einsamkeit souverän bleiben
I hre Einsamkeit kann Sie dazu verführen, sich innerlich auf andere Menschen zu stürzen wie ein Verdurstender in der Wüste auf eine Wasserquelle. An dieser Stelle möchte ich ein großes Stoppschild aufrichten. Und wenn Sie noch so glücklich sind, endlich einen Gesprächspartner oder eine Gesprächspartnerin gefunden zu haben – halten Sie sich zurück und bleiben Sie souverän. Indem Sie in den |182| folgenden Punkten Selbstdisziplin üben, haben Sie die besten Chancen, eine Begegnung auf natürliche Weise zu vertiefen:
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Klagen Sie nicht darüber, wie einsam Sie sind.
Damit kein Missverständnis entsteht: Sie sollen nicht so tun, als wäre in Ihrem Terminkalender keine Seite mehr frei oder als könnten Sie sich vor Einladungen kaum retten. Sie müssen nicht einmal verschweigen, dass Sie alleine sind. Aber: Der Ton macht die Musik. Entscheidend ist, wie Sie über Ihre Situation sprechen. Es ist etwas völlig anderes, ob Sie eher informativ äußern: »Zur Zeit bin ich allein. Das ist natürlich nicht so schön, aber man kann es sich nicht immer aussuchen« oder ob Sie dabei Gott und die Welt anklagen. Mit einem bitteren, verzweifelten oder vorwurfsvollen Unterton schlagen Sie garantiert auch diejenigen in die Flucht, die durchaus an Ihnen interessiert gewesen wären.
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Lassen Sie innerlich los.
Sagen Sie es sich still wie ein Mantra vor: »Dieser Mensch ist nicht mein Retter.« Weder ist er dazu da, Ihnen eine einsame Stunde zu vertreiben, noch Sie aus vielen einsamen Tagen zu erlösen. Es ist einfach jemand, dem Sie zufällig begegnet sind. Ob sich aus diesem Zusammentreffen demnächst mehr ergibt, wird sich zeigen. Bleiben Sie also ganz gelassen. Sie müssen ihn nicht krampfhaft festhalten. Nehmen Sie Ihr Gegenüber bewusst wahr. Beachten Sie seine Körpersprache. Ist sie zugewandt oder abgekehrt? Hören Sie genau hin, ob Ihr Gesprächspartner schon dezent den Abschied ankündigt, etwa mit Sätzen wie »Na, gleich muss ich aber mal sehen, dass ich noch meinen Bus kriege …«. Nehmen Sie diese Signale locker auf, und kommen Sie ihm zuvor. Verabschieden Sie sich freundlich lächelnd. Sie werden merken, wie ausgezeichnet es Ihrem Selbstbewusstsein bekommt, die Kontrolle zu behalten. Außerdem gibt es dann bei der nächsten Begegnung keinen Grund, Sie zu meiden.
Diese Verhaltensweisen können Sie wie ein guter Schauspieler spielen. Damit sind Sie bereits erfolgreich und erreichen, dass Sie nicht anklammernd oder bedrängend wirken. Doch noch überzeugender ist Ihr Verhalten, wenn es echt ist und es Ihnen wirklich nichts |183| ausmacht, Menschen innerlich loszulassen. Volle innere Freiheit erreichen Sie dadurch, dass Sie gut mit sich allein sein können.
Lernen, allein zu sein
A uf einem Seminar erzählte eine Teilnehmerin: »Ein Freund von mir bekämpft seine Einsamkeit, indem er in jedem Zimmer einen Fernseher laufen lässt.« Die Variante, dass
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