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All unsere Traeume - Roman

All unsere Traeume - Roman

Titel: All unsere Traeume - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Cohen
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»Komm schon, komm schon«, sagte sie im Vorübergehen zu Posie und verstaute den Test in ihrer Handtasche, bevor ihre Tochter ins Wohnzimmer stapfen konnte. Sie steckte Posie in Gummistiefel und Regenmantel, schlüpfte hastig in ihre eigenen Stiefel und ihre Jacke und holte für sie beide je einen Müsliriegel und aus der Obstschale eine Banane, bevor sie aus dem Haus stürzten.
    »Die hier ist ganz braun und fleckig«, sagte Posie. Romily tauschte sie gegen ihre, die eine Spur weniger reif war. Mit gerümpfter Nase begann Posie sie im Gehen zu essen.
    »Wir müssen uns beeilen.« Romily schälte ihre eigene Banane, und ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, ihr pränatales Vitaminpräparat einzunehmen. Sie hatte vor Ewigkeiten abgelaufene Vitamintabletten weggeworfen, die sie irgendwann mal gekauft und nie eingenommen hatte, und hatte stattdessen die pränatalen in das Fläschchen in ihrem Arzneischrank umgefüllt. Posie mochte vielleicht nicht wissen, was das Wort »pränatal« bedeutete, aber sie wusste sehr wohl, wie man ein Wörterbuch benutzte. Und außer dem war das Bild von dem lachenden Baby auf dem Fläsch chen irgendwie ein bisschen verräterisch.
    Sie würde die Vitamine später nehmen. In ihrer Handtasche piepte erneut das Handy. Ben war bestimmt schon auf der Arbeit und wartete gespannt auf Neuigkeiten.
    »Nun mach schon, Posie!«
    »Ich kann nicht gleichzeitig essen und rennen.«
    »Das bedeutet nicht, dass du im Schneckentempo gehen musst.« Sie nahm Posie bei der Hand und zog sie über den Bürgersteig. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, sie hätte eine Wohnung gemietet, die sich ein wenig näher bei Posies Schule befand. Am besten einfach gegenüber. Doch als Posie gerade geboren war, war das einzige Kriterium gewesen, etwas Bezahlbares mit drei Zimmern zu finden, nahe genug am Museum und der Universität, sodass sie kein Geld für Benzin oder Busse ausgeben musste. Sie war nicht so vorausschauend gewesen, um an den Schulweg zu denken. Doch heute waren sie so spät dran, dass sie es höchstens mithilfe einer Zeitmaschine rechtzeitig zur Schule schaffen würden.
    »Romily, du reißt mir den Arm ab.«
    »Dann lauf schneller.«
    »Kann ich nicht. Meine Füße tun weh. Meine Schuhe sind zu eng.«
    »Zu eng? Seit wann das denn?« Romily warf die Bananenschalen in einen Mülleimer und eilte mit Posie in einer kurzen Lücke im Verkehr über die Straße.
    »Ich weiß nicht. Ich glaube, ich brauche neue.«
    »Oh, Posie, warum hast du mir das denn nicht gesagt?«
    »Habe ich doch. Genau wie ich dir auch von dem Rechtschreibtest erzählt habe.«
    »Hast du nicht.«
    Posie setzte eine finstere Miene auf, die den restlichen Schulweg nicht mehr verflog. Romily musste am Tor klingeln, um sich Zutritt zu dem leeren Pausenhof zu verschaffen. Sie schleifte Posie die Treppe hoch ins Sekretariat.
    »Es tut mir leid, dass wir so spät dran sind«, sagte sie zu der Sekretärin, von der sie mit einem unfreundlichen Blick bedacht wurde. »Mein Wecker geht nach. Ich muss unbedingt neue Batterien besorgen.«
    »Schon wieder?«
    Romily machte eine entschuldigende Geste.
    »Mrs. Summer …«
    »Doktor.«
    »Dr. Summer – Mariposas Lehrerin macht sich Sorgen, ihr häufiges Zuspätkommen könnte Auswirkungen auf ihre Leistungen haben.«
    »Ich besorge mir eine neue Batterie und einen neuen Wecker. Heute Abend. Versprochen. Wenn ich nun schon einmal hier bin: Ich muss für Posies Schulessen bezahlen.« Sie kramte in ihrer Jackentasche und zog die einzigen Münzen hervor, die sie finden konnte: ein Pfund und zwei Zehn-Pence-Stücke. »Ähm … kann ich den Rest morgen bezahlen?«
    Die Sekretärin nahm die Münzen entgegen und widmete sich wieder ihrem Computer, als könne sie das Elend nicht mehr länger mit ansehen.
    Romily kniete sich hin und schob Posies feuchten Pony zurück. »Das mit deinen Schuhen tut mir leid, Pose, aber heute wirst du es in ihnen aushalten müssen. Nach der Schule gehen wir neue kaufen.«
    Posie drehte sich weg und begab sich auf den Weg zu ihrem Klassenzimmer.
    »Viel Glück bei dem Test!«, rief Romily ihr hinterher. Posie antwortete nicht. Romily sah ihr nach: die schmalen Schul tern in ihrem Regenmantel, die an den Knien durch hängende Strumpfhose, die nicht richtig gekämmten Haare. So klein und jung, das Kind mit der alleinerziehenden Mutter. Hätte sie selbst in dem Alter sein können.
    Romily richtete sich mit einem Seufzen auf. Dann lief sie durch die Tür, um zur Arbeit zu kommen.

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