All unsere Traeume - Roman
Spritze ins Waschbecken entleeren, das Ganze mit Wasser wegspülen, eine halbe Stunde warten und nach unten gehen, Auftrag scheinbar ausge führt. Es würde niemanden überraschen, wenn sie nicht gleich beim ersten Mal schwanger werden würde. Oder beim zweiten. Und bis dahin hätten Ben und Claire vielleicht eine andere Möglichkeit gefunden.
Nein, hätten sie nicht.
Romily atmete aus und ließ sich rückwärts auf das Bett fallen. Sie hatte geglaubt, dass sie kein Problem damit haben würde. Aber das hier war so intim, diese kleine Spritze von Ben. Das Ganze war theoretisch sogar noch intimer, als wenn sie irgendwie aus Versehen im Suff miteinander geschlafen hätten. Das hier war beabsichtigt. Sie versuchte, ein Baby von ihm zu bekommen.
Vor elf Jahren hatte Benjamin Lawrence im selben Studentenwohnheim wie Romily gewohnt. Sie war im ersten Stock untergebracht und er in dem Zimmer direkt über ihr im zweiten. Er studierte Architektur, und sie studierte Zoologie. Sie sah ihn zum ersten Mal, als sie das Haus betrat und er herauskam, und ihr Herz, das daran gewöhnt war, einsam zu sein, hämmerte so heftig in ihrer Brust, dass es beinahe wehtat. Er war groß und hatte funkelnde Augen, war lockig und überhaupt der Inbegriff eines tollen Mannes. Es hatte drei Wochen gedauert, bis sie den Mut aufgebracht hatte, ihn anzusprechen.
Und ein Jahr später, bevor sie den Mut aufgebracht hatte, ihm zu sagen, welche Gefühle sie wirklich für ihn hegte, war er Claire begegnet.
Romily schloss die Augen. Sie war albern. Dies hier war kein intimer Akt. Es war ein Freundschaftsdienst. Es war eine biologische Transaktion, um das Überleben der Art sicherzustellen. Es war ein Experiment, wenn auch eines, das sie mit heruntergelassener Hose durchführen musste.
Claire und Ben warteten unten auf den Beginn ihres neuen Lebens.
Romily legte sich aufs Bett. Auf der CD sang Joe Strummer mit seiner brüchigen Stimme. Sein Baby bekam gerade einen brandneuen Cadillac.
Liebes Kleines,
als ich ein Kind war, hatte ich ein Buch mit dem Titel Wie Vater und Mutter ein Kind bekommen. Es war wunderschön illustriert, mit Bildern von der Gebärmutter, den Eileitern, dem Sperma. Die Bilder waren so bezaubernd und detailliert, dass die Spermazellen sogar Schatten warfen. Das Buch fing mit einem Huhn und einem Hahn an, und auf den folgenden Seiten wurden das Ei gelegt und das Küken ausgebrütet. Dann zeigte es zwei sich paarende Hunde und anschließend die Welpen, die zur Welt kamen. Zu guter Letzt zeigte es einen Mann und eine Frau, die unter einer geblümten Decke zusammen im Bett lagen. Sie lächelten und hielten einander im Arm.
Du wurdest nicht auf diese Weise gezeugt.
Irgendwann wollen wir alle einmal wissen, woher wir stammen. Allerdings ist mir klar geworden, dass sich die Fragen nach unserem Ursprung eigentlich nicht auf die Eizelle und das Sperma beziehen, auf die Illustrationen und die Schatten. Wir fragen nach den Geschichten. Wie sich unsere Mutter und unser Vater kennengelernt haben. Warum sie sich ineinander verliebten. Geschichten zählen mehr als Zellen und DNS .
Folglich dürfte es dich interessieren, dass du im Laufe eines Frühlingsnachmittags entstanden bist in einem Freizeitpark, in dem es um Bausteine für Kinder geht. Sie werden aus Plastik hergestellt mit zusammensteckbaren Teilen, und jeder einzelne Stein lässt sich mit allen anderen auf unendliche Weise kombinieren. Man könnte mit einem einzigen anfangen, noch einen und noch einen und noch ein paar hinzufügen, und am Ende hätte man einen Elefanten. Oder ein Raumschiff. Ein Schloss, eine Atomrakete, einen Blumengarten.
In dem einen Baustein liegt ein ganzes Universum an Möglichkeiten. Nichts daran ist festgelegt oder zwangsläufig. Die endgültige Gestalt, die die Bausteine annehmen, hängt von den Kombinationen ab, die vorgenommen werden: von den glücklichen Fehlern, Gedankensprüngen, von der Umwelt und dem Zufall. Sie wachsen über sich selbst hinaus.
Du wurdest empfangen, als drei Menschen zusammenkamen und sich darauf einigten zu versuchen, dich zu bekommen. Wir wussten nicht, worauf wir uns da einließen. Doch ich glaube, es ist wichtig für dich, zu wissen, dass es ein schöner Tag war und dass alles, was wir machten, aus Liebe geschah.
Alles andere waren bloß technische Details.
Tests
W ie immer hörte Romily den Wecker nicht, sondern wachte erst auf, als er längst nicht mehr schrillte.
»Mist«, murmelte sie und griff nach der Uhr. Zehn nach
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