Allan Quatermain
Schatten des Todes, und als ich sie erreicht hatte, streckte ich sie mit meiner Axt nieder, und ihr Haupt sank herunter und fiel in die Wasserschale. Dann floh ich weiter nach Norden. Tag um Tag zog ich weiter; drei Monate reiste ich, ohne zu rasten und ohne zu ruhen. Ich lief immer weiter, um in der Ferne das Vergessen zu finden. Und so traf ich auf die Expedition des weißen Jägers, der jetzt tot ist, und schließlich gelangte ich hierher mit seinen Dienern. Ich habe nichts mitgenommen; ich, der ich von hoher Geburt war, ja, vom Geblüt Chakas, des großen Königs – ein Häuptling, Hauptmann des Regiments der Nkomobakosi –, bin nun ein Umherirrender an einem fremden Orte, ein Mann ohne Kraal. Nichts habe ich mitgenommen außer dieser meiner Axt; von all meiner Habe ist nur sie mir geblieben. Sie haben mein Vieh aufgeteilt; sie haben mir meine Frauen weggenommen; und meine Kinder kennen mich nicht mehr. Doch mit dieser meiner Axt ...« – er schwang die wunderbare Waffe in einer kreisförmigen Bewegung über seinem Haupt, so daß sie ein zischendes Geräusch erzeugte, als sie durch die Luft schnitt –, »mit dieser meiner Axt werde ich mir einen neuen Pfad zum Glück bahnen. Ich habe gesprochen!«
Ich schaute ihn an und schüttelte den Kopf. »Umslopogaas«, sagte ich, »ich kenne dich aus alter Zeit. Immer voller Ehrgeiz, immer dabei, Pläne zum großen Ruhm auszuhecken; ich fürchte, dieses Mal hast du dir zuviel zugemutet. Vor vielen Jahren, als du Ränke schmieden wolltest gegen Cetywayo, den Sohn des Panda, da warnte ich dich, und du hörtest auf meinen Rat. Doch nun, da ich nicht in deiner Nähe war, um dir in den Arm zu fallen, da hast du mit eigenen Füßen die Fallgrube durchbrochen, die du selbst gegraben hast. Ist es nicht so? Aber was geschehen ist, ist geschehen. Wer kann den abgestorbenen Baum wieder zum Grünen bringen; wer kann das Licht, das im letzten Jahre leuchtete, noch einmal erblicken? Wer kann das gesprochene Wort bewahren oder den Geist der Gefallenen wieder zum Leben erwecken? Was die Zeit verschlingt, das kommt nie wieder zurück. Laß es dem Vergessen anheimfallen!
Und nun höre, Umslopogaas! Ich kenne dich als einen großen Krieger und als einen tapferen Mann, der treu ist bis in den Tod. Selbst in Zululand, wo alle Männer tapfer sind, gab man dir den Ehrennamen ›der Schlächter‹, und nachts erzählt man sich am Feuer von deiner Stärke und von deinen großen Taten. Höre, was ich dir nun sage! Du siehst dort jenen großen Mann stehen, meinen Freund ...« – ich deutete auf Sir Henry – »Er ist ein eben solcher Krieger wie du, und da er genauso stark ist wie du, könnte er dich über seine Schulter werfen. Incubu ist sein Name. Und du siehst auch den anderen, den mit dem runden Bauch, dem leuchtenden Auge und dem freundlichen Gesicht. Bougwan (Glasauge) ist sein Name, und er ist ein guter und aufrechter Mann. Er gehört zu jenem seltsamen Stamme, der sein Leben auf dem Wasser verbringt und in schwimmenden Kraals lebt.
Nun, wir drei die du hier siehst, wollen gerne ins Landesinnere reisen, jenseits des Dongo Egere, des großen weißen Berges (Mount Kenia), und tief in das unbekannte Gebiet dahinter. Wir wissen nicht, was wir dort finden werden; wir wollen auf die Jagd gehen und Abenteuer erleben und neue Gebiete entdecken, da wir es müde sind, daheim am Ofen zu sitzen und jeden Tag dieselben alten Dinge zu sehen. Willst du mit uns kommen? Dir soll das Kommando über alle unsere Diener zufallen. Was jedoch mit dir geschehen wird, weiß ich nicht. Schon einmal reisten wir drei zusammen, so wie jetzt, auf der Suche nach Abenteuern. Mit uns ging ein Mann so wie du – Umbopa war sein Name. Und siehe da! Wir ließen ihn zurück als König eines großen Landes, mit zwanzig Impis (Regimentern). Jedes davon zählte 3000 federgeschmückte Krieger, die alle auf seinen Befehl hörten. Was dir widerfahren wird, kann ich nicht wissen; vielleicht wartet auf dich und auf uns der Tod. Willst du das Glück mit beiden Händen ergreifen und mit uns kommen, oder fürchtest du dich, Umslopogaas?«
Der große Mann lächelte. »Du irrst, Macumazahn«, antwortete er. »Zu meiner Zeit schmiedete ich Ränke und machte viele Pläne, aber nicht Ehrgeiz war es, der mich zur Strecke brachte, sondern – Schande über mich, daß ich das bekennen muß – das Antlitz einer schönen Frau. Laß es nun geschehen sein. Wir werden also wieder die alten Zeiten erleben, Macumazahn, da wir zusammen große
Weitere Kostenlose Bücher