Allan Quatermain
Durchmesser. Bis zu einer Höhe von etwa siebzig Fuß war der braune, nach oben hin immer schlanker werdende Stamm bar jeglicher Äste. Erst dort entsprangen dem Stamm wunderschöne, dunkelgrüne Zweige, die von unten wie gigantische Farne aussahen. Sie gingen waagerecht vom Stamm ab, und da sie weit über das Haus und den Blumengarten hinausragten, spendeten sie beiden ein hohes Maß an wohltuendem Schatten, ohne jedoch – da sie so hoch waren – den Zugang von ausreichend Licht und Luft zu verhindern.
»Was für ein schöner Baum!« rief Sir Henry begeistert.
»Ja, Sie haben recht; es ist ein wunderschöner Baum. Meines Wissens gibt es in der ganzen Umgegend keinen, der ihm auch nur annähernd gleichkommt«, antwortete Mr. Mackenzie. »Ich nenne ihn meinen Wachtturm. Wie Sie sehen können, habe ich am untersten Ast eine Strickleiter befestigt. Und wenn ich nun sehen will, was in einem Umkreis von fünfzehn Meilen vor sich geht, dann brauche ich bloß hinaufzuklettern und ein Fernglas mitzunehmen. Aber Sie sind jetzt sicherlich sehr hungrig, und ich bin sicher, daß das Essen fertig ist. Treten Sie ein, liebe Freunde; es ist zwar nur ein bescheidenes Heim, aber für diese wilde Gegend ist es gut genug. Und dann will ich Ihnen noch etwas verraten: wir haben einen französischen Koch.« Mit diesen Worten führte er uns auf die Veranda.
Während ich hinter ihm herging und mir den Kopf darüber zerbrach, was in drei Teufels Namen er wohl damit gemeint haben könnte, erschien plötzlich aus einer Tür, die vom Haus auf die Veranda führte, ein flinker kleiner Mann. Er trug einen sauberen, blauen Baumwollanzug, Schuhe aus gegerbtem Fell, und fiel sofort ins Auge wegen seines geschäftigen Gehabes und Gesichtsausdruckes sowie wegen seines mächtigen schwarzen Schnauzbartes, dessen Spitzen er kunstvoll nach oben gezwirbelt hatte, so daß sie wie die Hörner eines Büffels in die Luft ragten.
»Madame 'eißt mich zu sagen, daß das Dinner serviert ist. Messieurs, meine Empfehlung.« Plötzlich bemerkte er Umslopogaas, der hinter uns herbummelte und mit seiner Streitaxt spielte, und er warf verdutzt die Hände in die Luft. »Ah, mais quel homme!« stieß er auf Französisch hervor. »Quel sauvage affreux! Sehen Sie doch nur seine große 'ackbeil und das große Loch in seinem Kopf!«
»Ja«, rief Mr. Mackenzie, »aber was redest du denn da, Alphonse?«
»Was rede isch da!« rief der kleine Franzose, der noch immer wie gebannt Umslopogaas anstarrte, dessen Anblick ihn ungemein zu faszinieren schien. »Warum ich von ihm rede« – und er zeigte mit dem Finger auf Umslopogaas, »von ce monsieur noir «.
Über diese Geste und das »monsieur noir« mußten wir alle laut lachen, und Umslopogaas, der inzwischen bemerkt hatte, daß es um ihn ging, legte grimmig die Stirn in Falten; denn nichts ärgerte ihn mehr, als wenn seine Würde durch eine persönliche Frechheit angekratzt wurde.
»Parbleu!« rief Alphonse. »Er ist wütend – er macht eine Grimasse. Sein Gesicht gefällt mir nischt. Isch verschwinde.« Und das tat er auch mit bemerkenswerter Geschwindigkeit.
Mr. Mackenzie fiel herzlich in unser lautes Gelächter ein, von dem wir uns noch immer nicht erholt hatten. »Er ist schon ein eigentümlicher Mensch, dieser Alphonse. Ich werde Ihnen nach und nach mal seine Geschichte erzählen; in der Zwischenzeit wollen wir erst einmal das Ergebnis seiner Kochkünste probieren.«
»Dürfte ich fragen«, sagte Sir Henry, nachdem wir das wirklich ausgezeichnete Mittagessen beendet hatten, »wie Sie in dieser Einöde an einen französischen Koch geraten sind?«
»Oh«, antwortete Mrs. Mackenzie, »er kam aus freien Stücken vor einem Jahr zu uns und fragte, ob wir irgendeine Verwendung für ihn hätten. Er hatte in Frankreich in irgendwelchen Schwierigkeiten gesteckt und war dann nach Sansibar geflohen, wo er feststellte, daß die französische Regierung schon um seine Auslieferung nachgesucht hatte. Daraufhin schlug er sich Hals über Kopf in die Büsche, floh ins Landesinnere und wurde halbverhungert von der Karawane aufgelesen, die gerade auf dem Weg war, uns unseren alljährlichen Warenvorrat zu liefern. Die Männer brachten ihn dann zu uns. Sie sollten ihn einmal dazu bringen, Ihnen die Geschichte selbst zu erzählen.«
Nach dem Essen zündeten wir unsere Pfeifen an, und Sir Henry gab unserem Gastgeber eine ausführliche Beschreibung unserer Fahrt bis zur Missionsstation. Als er fertig war, machte Mr. Mackenzie ein
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