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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Zaplin
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Terrassentür steht auf. Woher kennt er das nur, dieses Bild der zum dunklen Garten hin weit geöffneten Terrassentür, wo hat er das nur schon mal gesehen? Als ob es so sein müsste. Und genau so, als ob auch das so sein müsste, sieht er sich durch die offene Tür hinaus in den Garten gehen, der weniger dunkel ist, als es von drinnen den Anschein hatte, und er sieht sich bis zur Schaukel im Kirschbaum gehen und mit der Hand über das Holzbrett streichen, das feucht vom Tau ist wie das Gras, das ihn an den Knöcheln kitzelt und durch das er weitergeht bis zum Johannisbeerstrauch. In dem Moment, als er das Stück Stoff in der Hand hält, das am Gartenzaun hängt, ist er wieder vollkommen bei sich. Das ist ein Stück vom Nachthemd seiner Tochter. Zum ersten Mal seit Langem hat er das Bedürfnis zu schreien. Er öffnet den Mund, doch es kommt nur ein seltsames Stöhnen über seine Lippen. Wie ein Hund klingt das. Seine Hand presst den Stofffetzen gegen den Mund und erstickt das ihm fremde Geräusch.
    Vielleicht ist es so gewesen: die Kleine ist aufgewacht, hat nach ihnen gesucht, ist in den Garten gelaufen, über den Zaun gestiegen und zur Nachbarin hinübergerannt. Bestimmt ist es so gewesen. Sie macht das oft, über den Zaun steigen und drüben wieder auf diese Weise in den anderen Garten hinein. Wie oft haben sie ihr das schon verboten, »Das geht nicht, du kannst nicht immer da drüben stören«, aber die Kleine ist trotzdem immer wieder über den Zaun gestiegen, um drüben die Katze zu streicheln oder sich eine Süßigkeit abzuholen.
    Urs steigt selber über den Zaun, das Stück Stoff noch in der Hand, und geht dann außen am Zaun entlang bis zum nächsten Grundstück. Erst will er auch hier über den Zaun steigen, in den Garten hinein wie die Kleine, doch dann besinnt er sich. Also geht er außen herum bis zur Haustür. Legt den Finger auf den Klingelknopf, schnell, ehe er es sich anders überlegt. Und drückt. Die Nachbarin ist eine alte Dame, Witwe, sie wird gewiss schon früh wach sein, in dem Alter ist das so. Sein Finger ist wie mit dem Klingelknopf verbunden, er kann ihn nicht mehr lösen. Durch das Milchglas der Tür sieht er, wie drinnen Licht angeht. Er hört Schritte auf der Treppe. »Wer ist denn da?«, hört er die vom Schlaf noch belegte, ängstliche Stimme der alten Dame.
    »Ich bin’s!«, ruft Urs und reißt mit voller Kraft den Finger zurück. Tatsächlich hat er noch immer weiter geklingelt, ohne das Läuten über der Stimme der alten Dame zu hören. Endlich ist sie an der Tür. »Was ist denn los, um Himmels willen?«, hört er sie, während sie den Riegel zurückschiebt und öffnet.
    Als Erstes fällt sein Blick auf den Umschlag am Boden. Auch die Nachbarin sieht darauf. Sie bückt sich und hebt ihn auf. Etwas Weiches schmiegt sich von hinten an Urs’ Beine. Die Katze. Schnurrend umschmeichelt sie ihn. Alles stürzt auf ihn zu: die Nachbarin, der Briefumschlag in ihrer Hand, der Boden mit ihren Füßen, diese ganze verdammte Nacht.
Als Urs und Claudia sich trafen
    War die Nacht überschrieben mit einer bunten Lichterkette auf dem dreißigsten Geburtstag eines gemeinsamen Freundes. Das Wasmachstdu hatten sie schnell geklärt und danach lange am Büffett über das Eigentlich gesprochen. Eigentlich wäre Urs gern Koch geworden. Eigentlich träumte Claudia noch immer vom Theater. Als die anderen tanzten, sind sie zum Andererseits übergegangen. Andererseits stand Urs inzwischen vor der Verbeamtung. Andererseits hatte Claudia gelernt, sich vor Messern zu schützen und auf ihre Sicherheit zu achten.
    Am nächsten Abend hat Urs für sie gekocht. Am übernächsten saß sie wieder in seiner Küche und bald darauf jeden Abend. Es schmeckte ihr gut bei ihm. Italienisch–französisch–indisch. Am liebsten aber Fisch, und den bereitete er am liebsten auf skandinavische Art zu. Mit dem Kind kamen die Frühkarotten und der Pürierstab. Seitdem kochte Urs nur noch zu Weihnachten. So schmeckte Sicherheit. So haben sie es gewollt.
Bevor sie weiterfahren
    Will Anselm noch auf die Toilette. »Hältst du bitte mal kurz?«, fragt er und reicht Jasper seine Jacke. Wie ein Pfand, um klarzustellen, dass er wiederkommt. Dass er wirklich mit dem Jungen ans Meer fährt. Spielschulden sind Ehrenschulden.
    Jasper sieht ihm nach, wie er die Treppe zu den Toiletten hinuntersteigt. Der ist völlig anders, dieser Typ. Er kennt keinen Erwachsenen, der so drauf ist. Und diese Jacke. Solche Jeansjacken trägt kein Erwachsener,

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