Alle auf Anfang - Roman
entschuldigend. »Der Pfarrer hat Internet, können alle bei ihm Nachrichten bekommen.«
Sie forscht in seinem Gesicht. Er bemüht sich, seine Mimik unter Kontrolle zu halten. Am liebsten hätte er jetzt wohl eine Maske gehabt. Nur keine Schwäche zeigen, sagen seine Augen, und um die Mundwinkel zuckt es wieder.
»Wie lautet die Adresse von diesem Pfarrer?«, fragt Alma. Ein Lächeln entwischt ihm. Leise buchstabiert er die Adresse, und Alma gibt sie ein. »Bitte«, sagt sie, steht auf, überlässt ihm den Platz und greift nach ihrem längst geleerten Whiskyglas, »ich hole uns in der Zwischenzeit was zum Trinken.«
Schon sitzt er, hört sie kaum, beginnt, in die Tastatur zu hacken. Sie blickt ihm über die Schulter. Die Sprache ist ihr unbekannt. Aber es kann ihr doch auch egal sein, was er schreibt. Sie geht aus dem Zimmer, hinüber in die Küche und holt zwei Gläser aus dem Schrank. Als sie nach der Wasserflasche greift, fällt ihr Blick auf das Päckchen, das sie aus der Praxis mitgebracht hat, nachdem der Pharmavertreter es ihr dagelassen hatte. Sie zieht eine Schachtel heraus, überfliegt kurz die Inhaltsstoffe auf dem Beipackzettel und nimmt die Flasche heraus. Das könnte funktionieren. Ehe sie es sich anders überlegen könnte, öffnet sie das Medikament und kippt eine große Menge Tropfen in eines der beiden Gläser. Kurz zögert sie, lässt dann die Wasserflasche stehen und holt Cola aus dem Kühlschrank. Zuerst schenkt sie das Glas mit den Tropfen darin voll, dann das zweite, etwas weniger, und trägt beide hinüber zum Arbeitszimmer.
Bela hat ihr Kommen nicht gehört. Er sitzt, im Schreibtischstuhl zurückgelehnt, vor dem Bildschirm und wischt flüchtig mit dem Handrücken über die Nase. Alma wehrt sich gegen das Tröstenwollen, das sofort da ist, sie schiebt es beiseite, hat doch jetzt einen Plan, zwingt sich, an vorhin zu denken, an seine geschäftsmäßige Gier und wie er sie einfach so, einfach so genommen hat. Endlich kann sie das Zimmer betreten.
»Schon fertig?«, fragt sie und stellt ihm das Glas hin. Beiläufig, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen, greift er danach und trinkt. Erst dann sieht er überrascht auf den Becher in seiner Hand. Alma hält kurz die Luft an.
»Cola?«, fragt er.
Sie nickt hastig, »ja, ich hatte nichts … da war nichts anderes da«, und beobachtet ihn. Er trinkt das Glas leer. »Tut mal ganz gut, Cola«, sagt sie mit einem kleinen Lächeln und ist selber erstaunt, wie heuchlerisch sie sein kann. »Was steht denn in der Mail?«, fragt sie rasch und findet sich jetzt wieder zu interessiert. Schon beginnt er, vom Bildschirm herunter zu übersetzen, leise und langsam, Wort für Wort: »Mein lieber Sohn. Lasse die Sorgen nicht groß werden. Natürlich bezahle ich das Internat. Hier in Deutschland ist gut Arbeit finden und ist die Arbeit immer gut bezahlt. Darum musst auch du lernen und gut die Schule machen, dann …«
Ein gequälter Ausdruck schleicht sich um seinen Mund. Er sieht Alma an, als habe auch er gerade festgestellt, was für ein Heuchler er sein kann.
»… dann wirst du gut und ehrlich verdienen«, liest er weiter, bricht wieder ab, schlägt die Hand vor den Mund, »…wie ich.«
Die letzten zwei Worte hat er durch die Finger hindurch geflüstert. Sie sind kaum zu verstehen. Der gequälte Ausdruck hat seine Augen erreicht.
»Was tun wir nicht alles für unsere Kinder«, sagt Alma und deutet auf den Bildschirm, »da: Senden. Einfach anklicken.«
Doch Bela presst die Hand jetzt vor den Bauch. »Entschuldigung«, stößt er zwischen den Zähnen aus, »ich bin …« Er krümmt sich leicht.
»Das Gästebad ist da drüben.« Vorsichtig nimmt Alma ihm das Glas aus der Hand. »Aber das weißt du ja noch.«
Es kostet ihn große Mühe aufzustehen. Die Arme vor den Bauch gepresst, setzt er Schritt vor Schritt, hält sich im Türrahmen kurz fest und schleicht dann in Richtung Gästebad weiter. Erschöpft lässt Alma sich auf den Schreibtischstuhl fallen. Es läuft jetzt endlich wieder nach Plan, aber sie spürt keine Erleichterung. Müde starrt sie auf die fremden Worte vor ihr auf dem Bildschirm. Draußen, auf der Straße, nähert sich Motorengeräusch und verklingt dann wieder. Der Frühbus.
Der Bus bleibt an der Haltestelle stehen
Er ist groß und leer. Kein Gesicht hinter den Fenstern. Er brummt. Die Tür vorn springt mit einem Zischen auf. Komm rein, sagt sie, hier ist es warm. Das kleine Mädchen wird einfach hineingezogen. Verschluckt. Die Tür
Weitere Kostenlose Bücher