Alle auf Anfang - Roman
des Sprechens nachdenken zu können, »in Ordnung, wir fahren zu einem Kontoautomaten. Gleich. Ich muss nur vorher noch den Flug für meinen Sohn buchen.«
Von der Seite her sucht sie nach einer Reaktion in seinen Gesichtszügen. Er scheint einverstanden. »Ist das in Ordnung?«, fragt sie nachdrücklich. »In Ordnung«, sagt er. Ein leiser Zweifel klingt da mit. Oder bildet sie sich das ein? Sie darf jetzt nur keinen Fehler machen. Sie kennt ihn bloß als jemanden, der ihr zuverlässig eine körperliche Arbeit abnimmt. Nicht als Erpresser. Denn das ist er ja jetzt. Was, wenn er die Nerven verliert? Zwar hat sie noch keinen Plan, trotzdem muss sie bedachtsam sein. Alles Weitere würde sich finden.
»Mein Computer steht im Arbeitszimmer«, sagt sie, immer noch langsam Wort für Wort setzend, »da hinten, am Ende vom Gang. Ich gehe jetzt dorthin.«
»Komme ich mit.«
Er sucht ihren Blick. Hält sich fest daran. Sie will das nicht. Dreht sich um und geht. Er folgt ihr.
Das Arbeitszimmer hat er noch nie betreten. Er bleibt in der Tür stehen und sieht sich um, während sie sich an den Schreibtisch setzt, das Glas abstellt und den PC startet. Über den Bildschirm hinweg sieht sie ihn die maßgefertigten Regale betrachten und die medizinischen Fachbücher darin. Sie sieht, wie er die Hand hebt, um über das Holz zu streichen, wie er sie in der Luft schweben und dann unverrichteterweise wieder sinken lässt. Sie weiß, dass sie von nun an wieder die Fäden in der Hand hält.
Mit einem Pling begrüßt der Computer sie. »Willkommen«, steht auf dem Bildschirm. Alma erschrickt. Wo hat sie das heute schon einmal gelesen? Welcome home. Ein Stockwerk höher. Von seinem Foto im Silberrahmen, das neben dem Bildschirm steht, lächelt er sie an. Die Haare stoppelkurz, Grübchen in den Wangen, den Kopf schräg gelegt, neun Jahre alt – ihr kleiner Junge.
Sie loggt sich ins Internet ein und klickt sich durch die Flugofferten, bis sie auf ihrer bevorzugten Seite gelandet ist. Bela steht vorm Regal und beobachtet sie. Um seine Mundwinkel zuckt es. Vielleicht könnte sie ihn einsperren und die Polizei holen, überlegt Alma, während sie die Abflugzeiten durchsieht. Aber hier im Arbeitszimmer würde es nicht funktionieren, er könnte durchs Fenster fort und wäre womöglich schneller bei der Polizei, um seine Aussage zu machen. Und was sollte sie auch der Polizei sagen? Dass er sie erpresste? Damit wäre Jasper nicht gerettet. Wäre sie nicht gerettet. Sie klickt den Buchungsbefehl an und öffnet das Fenster mit den Zahlmethoden.
»Dauert das lange«, sagt Bela leise und geht auf den Schreibtisch zu. Alma tippt rasch ihre Kontrollnummer ein und bestätigt die Zahlung. »Ich bin schon fast fertig«, sagt sie. Jetzt steht er neben ihr und sieht auf den Bildschirm. Er riecht nach Schweiß. Eben, drüben im Wohnzimmer, hat er anders gerochen. Oder hat sie das verdrängt? Jetzt streckt er die Hand aus und nimmt das Kinderfoto.
»Ist er da noch klein«, sagt er. Alma lehnt sich im Drehstuhl zurück. Es quietscht.
»Du hast doch auch Kinder«, versucht sie ein Gespräch. Versucht, Zeit zu gewinnen. Er darf Jasper nicht verraten.
»Vier«, sagt er, »größter Sohn so alt wie Jasper.«
Mit einer fast zärtlichen Bewegung stellt er den Silberrahmen zurück an seinen Platz. »Ist so begabt und so viel Unsinn ist trotzdem in seinem Kopf.«
Vorsichtig lehnt er sich gegen den Schreibtisch. Er soll es sich nur nicht zu gemütlich machen, denkt Alma. Jetzt fängt er auch noch an, von seinem Sohn zu erzählen, dabei will sie das gar nicht wissen. Oder doch? Will doch nur Zeit gewinnen.
»Soll in die Oberschule gehen, ist so klug und hat immer Preise gewonnen in Mathematik und sogar in Deutsch. Aber ist zu weit weg, die Oberschule, muss er darum ins Internat. Aber das ist zu teuer.«
Er setzt sich auf die Schreibtischplatte. Alma betrachtet das mit Entsetzen. Zugleich wehrt sie sich gegen das Gefühl, das sich in ihr Platz schaffen will. In ihrem Kopf geht alles durcheinander. Da wären die Fünftausend doch gut angelegt, sagt ein Gedanke. Ein anderer beruhigt: Lass ihn reden, das verschafft dir Luft. Und ein dritter fordert: Du musst jetzt an deinen eigenen Sohn denken. Am liebsten möchte sie Bela vom Schreibtisch schieben. Aber sie scheut sich, ihn noch einmal anzufassen.
»Darf ich ihm eine E-Mail schreiben?«, fragt er.
»Ach«, entfährt es Alma, »die Schule ist zu weit weg, aber Internet habt ihr in der Nähe?«
Er lächelt
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