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Alle auf Anfang - Roman

Alle auf Anfang - Roman

Titel: Alle auf Anfang - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Zaplin
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miteinander, wälzen sich im Schlamm, und erst, als sie das Wasser auf ihren Haut spüren, lassen sie voneinander ab. Stehen auf, schnaufen, Anselm zieht geräuschvoll die Nase hoch, Jasper zittert. Stumm stehen sie nebeneinander, sehen auf den Horizont, wo die fernen Wellen inzwischen erkennbar sind.
    »Sieben Stunden später und zwei Mobiltelefone weniger«, sagt Anselm, »schön ist es hier am Meer.«
    Er beginnt, sich die nassen Kleider auszuziehen. »Los, runter mit dem Zeug«, fordert er Jasper auf. Der dreht sich um und geht zurück zum Strandkorb. Anselm, in gestreiften Boxershorts, stapelt seine Sachen ordentlich aufeinander. Mit dem Kleiderstapel unterm Arm läuft er Jasper nach. Vor ihrem alten Strandkorb hat er ihn eingeholt.
    »Ich muss nach Bremen«, sagt Jasper, »zum Flughafen.«
    Einen Moment lang schweigt Anselm. Dann nickt er. »Jetzt zieh erst mal die nassen Sachen aus.«
    Stattdessen beginnt Jasper, seine Schuhe anzuziehen. »Können wir bitte zurück zum Auto?«
    »Nur, wenn du die Schlammsachen ausziehst«, fordert Anselm.
    Jasper holt tief Luft. Er stößt den Atem wieder aus, streift dann sein Polohemd über den Kopf.
    »Die Jeans auch«, fordert Anselm. Der Junge gehorcht. Auch er trägt Boxershorts. Nebeneinander, jeder mit einem Kleiderstapel unterm Arm, stapfen sie durch den weichen Sand bis zur Kaimauer. Dort dreht Anselm sich noch einmal um und sieht zum Wasser hinüber.
    »Schade«, sagt er, »jetzt hat die Flut eingesetzt.«
Claudia, reglos
    Hört dem Arzt zu. Beherrscht, würde es der Arzt später im Kollegenkreis nennen. Wie sie die Mitteilung aufnimmt, dass sie aller Voraussicht nach für den Rest ihres Lebens auf den Rollstuhl angewiesen sein wird. Dass man natürlich zunächst alle Therapiemöglichkeiten ausschöpfen, ihr aber nicht allzu viel Hoffnung machen würde.
    Reglos, denkt Claudia, während der Arzt die zahlreichen Untersuchungsbögen auf ihrer Bettdecke ausbreitet. Reglos ist das richtige Wort. Der Arzt erklärt und blättert und stellt Claudia Winkel ihres Körpers vor, die sie gar nicht kennen will. Sie sieht dem Arzt beim Erläutern zu, aber eigentlich sieht sie etwas anderes: wie sie mit Anselm das Lokal verlässt und die wenigen Schritte bis zu ihrem Auto geht. Das waren ihre letzten Schritte. Neben Anselm.
    »Sehe ich dich wieder?«, hat er gefragt.
Das Meer ist keine Lösung
    Anselm hat die Standheizung eingeschaltet. Stumm sitzen sie in den Polstern, die nassen Kleider haben sie auf der Rückbank ausgebreitet. Der Geruch von Salz, Tang und Fisch wird immer stärker. Sie starren zum Fährhaus hinüber, wo allmählich Leben einkehrt. Die ersten Arbeiter des Schifffahrtbetriebs sind inzwischen eingetroffen und bereiten die Gepäcktransportcontainer vor. Im Restaurant des Fährhauses wird ein Fenster geöffnet, aus dem Schornstein steigt Rauch auf. Am Rand des Parkplatzes fährt ein Bus vor, müde aussehende Fahrgäste steigen aus und gehen zum Fährhaus hinüber.
    »Als Kind war ich oft mit meinen Eltern hier«, bricht Anselm das Schweigen. Jasper antwortet nicht, starrt weiter hinaus auf den Anleger, während seine Finger nervös gegen das Armaturenbrett schlagen.
    »Die Insel«, erzählt Anselm weiter, seine Stimme bekommt einen warmen, leicht belegten Klang, »das war damals mein Sommerleben. Schon, wenn wir hier am Fährhafen ankamen und dieser Geruch plötzlich da war, diese Mischung aus Diesel und Salzwasser, da ist er mir so richtig wohlig bis in die Knochen gekrochen, dieser unendliche Sommer. Freiheit, weißt du?«
    Er merkt, wie pathetisch das klingt, doch es stört ihn nicht, im Gegenteil. Um es noch zu unterstreichen, schlägt er sich auf die Oberschenkel und überhört das lauter werdende Trommeln von Jaspers Fingern. Begeistert deutet er hinüber zum Fährhaus. »Siehst du das? Das sind die Saisonarbeiter, die gleich alle die erste Fähre hinüber zur Insel nehmen. Wir haben das damals auch oft gemacht, sind in der Nacht losgefahren, wie wir beide heute, und dann haben wir die allererste Fähre genommen. Damit uns keine Sekunde Insel verloren ging.«
    Sein Gesicht hat den Ausdruck eines glücklichen kleinen Jungen angenommen. Beinahe hätte auch er getrommelt. »Manche der Saisonkräfte kannten wir schon vom Vorjahr«, erzählte er weiter, »mein Vater hat dann während der Überfahrt immer mit ihnen zusammen Kaffee getrunken, und sie haben ihm erzählt, was sich alles auf der Insel verändert hat seit dem Sommer zuvor. Irgendwo war immer gebaut

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