Alle Familien sind verkorkst
Rede in der Lounge ihres Hotels mit ihr verabredet. »Wade.«
»Schwesterchen.«
Sie tauschten Küsschen und redeten dann über die Familie. Wade hatte von all den Familien-News, mit denen Sarah aufwartete, nichts gewusst und konnte nur immer schneller trinken, während er von den Einzelheiten der Scheidung ihrer Eltern, Bryans drittem Selbstmordversuch und Sarahs Wand voller Doktortitel erfuhr.
»Wie läuft's mit dir und Howie?«
»Howie? Dem geht's gut.«
Es folgte ein Schweigen, das Wade als Signal auffasste, nicht weiter in sie zu dringen. Stattdessen fragte er, was sie in letzter Zeit im Job gemacht habe.
»Nun ja, letzte Woche habe ich meine zweihundertste Flugstunde bei verminderter Schwerkraft an Bord eines Parabelfluges absolviert. Außerdem war ich in einem Spezialanzug tauchen, um mich auf einen Weltraumspaziergang vorzubereiten.«
»Wirklich?«
»Das gehört zu meinem Job.« Sarah nippte an einem Ginger Ale.
»Mom hat mir vor ein paar Monaten erzählt, du wirst jetzt Kapitänin für Militärjets.« »Hat sie?« »Stimmt das?«
»Ja, aber es klingt so hochtrabend, wenn man es so sagt. Mir kommt es so vor, als wäre ich ein Hotelpage, der die Wagen der NASA parkt.«
Wade war überwältigt davon, was sie alles erreicht hatte, und rieb sich die Stirn. Sarah sagte: »Weißt du, großer Bruder, das alles ist nicht so toll, wie es scheint.«
»Ach nein?«
»Tja, Wade, seltsamerweise glaube ich irgendwie, es ist einfacher, etwas zu tun als nichts zu tun.« »Aha.«
Eine Gesprächspause trat ein, in der es ihnen leichter fiel, mit Cocktailspießchen ihre Eiswürfel im Glas herumzuwirbeln, als zu sprechen. Dann fragte Sarah Wade mit einer Stimme, der er anhörte, wie sehr sie sich bemühte, nicht herablassend zu klingen, nach seinem Job. Er log, er arbeite als Computerprogrammierer. Er glaubte, das würde einen smarten Eindruck machen. Sarah stellte ihm eine einfache Frage zu den Programmiercodes von LINUX, und er wusste, dass sie ihn durchschaut hatte, aber sie vertiefte das Thema nicht weiter.
»Okay, ich sag dir die Wahrheit. Ich habe mir so eine Art ... Sugar-Mama aufgerissen.«
»Na ja, das passt wenigstens eher zu dir, Wade. Wieso bist du so hart gegen dich selbst? Niemand sonst ist das. Oder war es je. Das habe ich nie an dir begriffen. Du bist dein eigener schlimmster Feind.«
»Mein Leben ist ein Witz, Sarah. Ich enttäusche die Menschen. Und es macht mir nicht mal was aus, wenn die Leute nichts mehr von mir wissen wollen. Ich mache mich aus dem Staub und hinterlasse keine Spuren.«
»Dein Leben ist kein Witz, Wade.«
»Was ist es dann?«
Gerade als Sarah antworten wollte, erschien ein Universitätsdozent mit Barett und Talar, um sie zu ihrer Rede abzuholen. Im Nu war sie verschwunden, und als Wade wieder allein war, musste er sein Gehirn so schnell wie möglich zum Schweigen bringen. Er bestellte drei doppelte Wodka auf Eis und soff eine Woche lang bis zum Blackout durch. Das war das letzte Mal, dass er ein Familienmitlied gesehen hatte.
Die Stewardess räumte zur Landung seine leere Bierdose weg. Innerhalb einer Stunde, ungefähr um zwei Uhr nachmittags, saß er, während es draußen auf dem Parkplatz nieselte, in seiner alten Stammkneipe, dem Avalon.
Ein paar Plätze weiter an der Bar bemerkte Wade eine schnuckelige Blondine, deren Art, ein 50er-Jahre-Starlet nachzuahmen, das in seiner Puderdose verstohlen zu John Wayne hinüberschielt, etwas leicht Ordinäres hatte. Er musste unwillkürlich lachen und antwortete mit einer Wer? Icb? Pantomime. Sie drohte ihm im Spiegel mit einem Du -böserböser-Junge-Finger. Wade rückte zu dem Barhocker neben ihr auf, woraufhin sie sagte: »Du meine Güte, wie dreist die Typen in dieser Stadt sind.«
»O Mann, ihr Filmstars.«
»Haben Sie etwa was gegen uns Leute vom Film? Unser Beruf ist auch kein Zuckerschlecken.«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie bei ihrem Schönheits-Cocktail gestört habe.«
Sie ließ ihre Puderdose zuschnappen, wandte sich ihm zu und sagte: »Nur damit Sie's wissen - grade heute Morgen hatte ich eine Zwei-Zeilen-Rolle in einem Film.«
»Oh, da muss ich mich ja gleich noch mal entschuldigen. Was für ein Film mag das wohl gewesen sein?«
Sie legte ihre Hände auf seine Knie, sah ihm ins Gesicht und sagte: »Ein entsetzlicher Schundstreifen für irgendeinen beknackten amerikanischen Kabelsender. Was dagegen, wenn ich einen Schluck von Ihrem Scotch nehme?«
»Nur zu.«
Sie stürzte gleich das ganze Glas herunter.
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