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Alle Farben der Welt - Roman

Alle Farben der Welt - Roman

Titel: Alle Farben der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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getan. Zuweilen schließe ich die Augen und stelle mir vor, ich sei noch bei den Vanheims, doch wenn ich sie wieder öffne, fühle ich mich weit weg von Geel. Bestätigt wird mir die große Entfernung durch die riesige Waschküche und durch die Art der Wäsche, denn in den großen Körben liegen keine Kinderstrümpfe. Aber wenigstens kann ich hier allein sein, und wenn ich allein bin, geht es mir gut. Und obgleich mir niemand aufträgt, die Flecke zu entfernen, reibe ich sie heraus und bitte um Natron und Salz. Mir scheint das einen Sinn zu haben. Hier drinnen träumte ich stets von der Vergangenheit. Bevor die Farben mich retteten, hatte ich das Gefühl, meine Vergangenheit gar nicht mehr zu kennen.

    Es geschah vor nunmehr einem Jahr.
    Eines Morgens, gleich nach Sonnenaufgang, ging ich mit einem Packen Schmutzwäsche in die Waschküche hinunter. Ich legte alles auf eine Bank, wie immer. Da sah ich, dass ein Fenster offen stand und der Fußboden voller Blätter und Dreck war. Es waren die Spuren eines Tieres, das sich in der Nacht hier verkrochen hatte, also wollte ich Wasser holen, um alles aufzuwischen.
    Ich ging zu den Eimern, die ineinandergestapelt im hinteren Teil des Raumes stehen, bei den Eisendrähten zum Aufhängen der Wäsche im Winter. Als ich mich bückte und nach einem Eimer griff, entdeckte ich die Bilder.
    Sie lehnten mit der Vorderseite an der Wand, vom Morgenlicht nur schwach erhellt. Ich stellte den Eimer ab, schlüpfte unter den Drähten durch und trat neugierig näher.
    Ich drehte die Bilder um.
    Eines, und noch eines.
    Der Anblick war überwältigend. Ich wusste sofort, dass diese Bilder von Ihnen waren. Es waren Ihre dicken, kräftigen Striche, es waren Bilder unserer Landschaft, der Landschaft, die uns wachsen sah, und der Landschaft, die uns nun beherbergte, wieder zusammen, nach all der Zeit. Sie anzuschauen war wie eine Wiedergeburt.
    Ich wusste wieder, wer ich bin.
    Teresa Ohneruh.
    Da ist eine Sternennacht, und eine Zypresse.
    Am Himmel wirbelt ein Sternensturm, ganz gelb, die Sterne sehen aus wie Räder, sie scheinen die Nacht zu verschieben, scheinen sie mit sich fortzureißen. Es ist ein Tanz und ein Kampf. Nie zuvor habe ich so leuchtende Sterne gesehen. Sie lassen mich träumen. Sie scheinen pulsierend aus dem Bild zu streben, als gäbe es gar keinen Rahmen. Die Zypresse ist das einzig Reglose, starr wie ein Obelisk, alles andere dreht sich, ist in Bewegung. Der Himmel scheint Anteil an uns zu nehmen, mit uns zu spielen, uns Wunder zu bringen. Was Sie da gemalt haben, sieht aus wie der Wind, der wehte, als ich geboren wurde. Und das Dorf darunter im Halbschatten, das sich ebenfalls zu bewegen scheint, ist ein Dorf wie jedes andere, mit seinen Familien und seinen Häusern, mit seinen Zweifeln und seinen Gebeten.
    Es könnte Geel sein.
    Da sind ein Mann und eine Frau, die durch eine Landschaft von Feldern, Bäumen und kugligen Büschen wandern. Sie ist gelb gekleidet, er in Blau. Ihr Haar ist schwarz, seines rot, als wären diese zwei Sie und ich. Auch diese Büsche rollen, drängen zur Eile. Die zwei Gestalten kommen aus dem Bild heraus, sie haben den Rand der Leinwand erreicht. Sie scheinen sich seit einer Ewigkeit zu kennen, sie sind Mann und Frau, zwei gute Freunde, zwei Liebende. Es ist nicht viel Grün zu sehen, das Gras ist schon lange zertrampelt. Ein matter, schiefer Mond geht auf, man erkennt, dass er nicht hell genug ist, dass er gerade erst zunimmt. Das sind wir beide auf dem Rückweg von der Nete, auch wenn auf dem Bild gar kein Fluss zu sehen ist, auch wenn unsere Kleidung anders ist und ich keine Haube trage, ich war auch dünner, und wir beide waren viel jünger.
    Das sind wir beide, wenn wir zusammengeblieben wären.
    Wir sind zwei Sonnenblumen, gemalt auf blauem Grund. Zwei pralle, reife Blüten, einander zugewandt, als würden sie sich etwas ins Ohr flüstern. Die eine scheint die andere zu beschützen. Man sieht nicht genau, wo sie liegen, vielleicht auf einem Tischtuch, vielleicht auf einem blauen Himmel. Die eine hat eine Art Pupille, ein unruhiges Auge, und der Blütenkranz hat Ähnlichkeit mit Flammen. Es ist ein feuriger, brennender Blick. So wie Ihrer. Wo die Stiele beginnen, ist nicht zu erkennen. Doch mir scheint, dass diese Blüten abgeschnitten sind. Man erkennt es an dem Schatten, der auf ihnen liegt, so als welkten sie bereits.
    Sie sind zu zweit.
    Sie scheinen sich festzuhalten, sich zu umarmen, Wärme zu suchen.
    Sind das wir beide?
    Sind das wir

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