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Alle jagen John Mulligan

Alle jagen John Mulligan

Titel: Alle jagen John Mulligan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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stand. Teils hatten sie sich Widersetzlichkeit, teils andere Vergehen zuschulden kommen lassen, teils waren sie sogar entwichen und wieder eingefangen worden, und die letzteren besonders büßten ihr Verlangen nach Freiheit durch massive Ketten, an denen sie schwere Kugeln bei jedem Schritt nachschleppen mußten.
    Wüstes verwildertes Volk waren die meisten; in Sünden und Verbrechen aufgewachsen und seit ihrer Strafzeit noch außerdem dem Abschaum der Menschheit beigesellt, in dem allein sie sich wohl und behaglich fühlten. Jetzt freilich war der alte Trotz gebrochen, und so zügelloser Sprache sie sich auch untereinander bedienen mochten, sobald ihnen einer der Wächter nahe kam, krochen sie scheu in sich zusammen und ließen ihren Grimm höchstens an dem harten Erdboden aus, den sie mit Schaufel und Spitzhacke angreifen und ebnen mußten.
    Und wahrlich, sie wußten, daß sie ihren Wächtern keine Ursache zu Strafe geben durften, denn erbarmungslos wäre die Peitsche auf ihre Rücken herabgekommen, bis ihnen das blutige Fleisch in Streifen niederhing. Wenig genug Rücksicht wurde in jener Zeit auf die Deportierten schlechthin genommen, womit sie sich auch im alten Vaterland vergangen haben mochten. Wehe aber den Unglücklichen, die unter verschärfter Strafe standen, denn diese waren der Willkür ihrer rohen Wächter vollständig preisgegeben, und nur in höchst seltenen Fällen drang eine Klage zu höheren Beamten, um irgendeine ungerecht vollzogene Strafe zu untersuchen.
    Solche Strafgänger wurden dabei (und waren es auch eigentlich meist) als zum Tod verurteilte und nur halb begnadigte Verbrecher betrachtet. Der Tod drohte ihnen noch aus jedem Gewehrlauf der Wachen, die sie umstellten, denn diese hatten ausgedehnte Vollmacht, bei der geringsten verdächtigen Bewegung eines der Gefangenen von ihren Feuerwaffen beliebigen Gebrauch zu machen.
    Dabei ließ fast jedes Vergehen, was sie sich erneut zuschulden kommen ließen, verschärfte und doppelt verschärfte Strafen erwarten, und auf Widersetzlichkeit gegen die Wächter oder erneute Flucht stand der Tod.
    Daß sie aber auch gar nicht an erneute Flucht denken durften, dafür sorgte schon die vortrefflich eingerichtete und bewaffnete Polizeimannschaft, die mit der blanken und scharfgeschliffenen Wehr an der Seite die mit Ketten beladenen Verbrecher schon im Zaum halten konnte. Nachts blieb dazu der ganze, mit festen Palisaden eingeschlossene Platz von Militär umstellt, und die einzelnen Trupps wiederum hatten ihre besonderen Wächter; Flucht war von dort mit einem Wort unmöglich.
    Unter den Gefangenen befand sich einer, der sich nicht allein durch seine reinlicher gehaltene Kleidung, sondern auch durch sein ganzes Benehmen vor den übrigen auszuzeichnen versuchte.
    Es war ein muskulös gebauter, kräftiger und breitschultriger Gesell, der sich nicht so hatte gehenlassen wie die übrigen. In seinem ganzen Wesen hatte er überhaupt etwas, das für ihn interessierte, denn es schien fast, als ob er nicht in diese traurige Umgebung, in der er sich befand, gehöre. Möglich vielleicht, daß dazu gerade diese traurige Umgebung die Schuld trug, aus der er sich, soviel dies anging, zurückzog. Man sagt ja: Im Lande der Blinden ist der Einäugige König, und es bedurfte hier allerdings nur einer sehr geringen Anstrengung, sich über diese Masse emporzuarbeiten.
    Selbst aber durch solche geringe Anstrengung fühlte sich diese Masse beleidigt, die nun einmal keinem von ihr gestatten wollte, daß er sich aus dem allgemeinen Schlamm erhob. John Mulligan, dessen Strafe durch Tolmers Fürsprache so gemildert worden war, daß er dieser Abteilung nur auf ein Jahr eingereiht worden war, hieß deshalb auch sehr bald »der Gentleman« oder auch »Gentleman John«; und er hatte sich den Haß einer großen Zahl der Gefangenen zugezogen, weil er an einem trotz aller Gefahren verabredeten Fluchtversuch nicht hatte teilnehmen wollen.
    Allerdings hatte er damals den Kameraden vorgestellt, daß sie auf solche Art gar nicht entkommen könnten und ihr Los nur dadurch, ohne das Geringste zu erreichen, verschlimmern würden. Sie nannten ihn dafür einen feigen Patron, der keinen Mut mehr habe, etwas für seine Freiheit zu wagen, und fanden doch in derselben Nacht, daß »Gentleman John« völlig recht gehabt hatte.
    Ihr Plan wurde nämlich vereitelt, bevor sie richtig begonnen hatten, ihn auszuführen. Drei fielen dabei durch die Schüsse der Wachen, zwei andere wurden schwer verwundet und

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