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Alle lieben Merry

Alle lieben Merry

Titel: Alle lieben Merry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Greene
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positive Ausstrahlung. Nur stocktaub.
    “Na, Sie sind aber eine Hübsche. Kommen Sie nur herein, Liebes …”
    Sobald Merry einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, roch sie Urin. Vom Eingangsbereich aus konnte sie rechts einen Teil des riesigen Wohnzimmers sehen, wo auf dem Fernsehgerät an der Wand gerade “The Morning Show” in ohrenbetäubender Lautstärke lief. Sessel, Sofas und Rollstühle bildeten einen kleinen Halbkreis um den Fernseher. Auf den ersten Blick zählte Merry ungefähr zehn Leute in der Runde, doch dann wurde sie von einer alten knochigen, kahlköpfigen Frau abgelenkt, die in einem Rollstuhl direkt auf sie zusteuerte – offenbar in der Absicht, aus dem Haus zu flüchten.
    Rasch zog Merry die Tür hinter sich zu. Damit vereitelte sie zwar den Fluchtversuch, konnte aber nicht verhindern, dass ihr der Rollstuhl in die Knie krachte. Sie zuckte vor Schmerz zusammen, trat einen Schritt zur Seite und lächelte die alte Dame im gepunkteten Pullover an.
    “Hallo, ich bin Merry Olson. Ich komme wegen Charlene Ross. Ich weiß nicht, ob sie hier ist. Also bei ihrer Urgroßmutter. Aber ich habe Dokumente …”
    “Ach! Sie haben Kekse zu verkaufen, sagen Sie?”
    “Nein, nein. Ich verkaufe keine Kekse. Ich suche Charlene Ross …”
    “Du, Frank, ich glaube, sie hat Kekse zu verkaufen!”, brüllte die alte Dame. Dann bedachte sie Merry wieder mit einem herzlichen Lächeln. “Schätzchen, ich hoffe, Sie haben die mit Pfefferminzschokolade, die mag ich am liebsten – Wilhelma, hör auf, ihr ständig deinen Rollstuhl in die Knie zu rammen, du altes Miststück …”
    “Na, na.” Ein sichtlich gestresster Mann kam mit einem Geschirrtuch über dem Arm aus der Küche geeilt. “So reden wir nicht miteinander, Julia. Ich habe dir das schon mehrmals erklärt.” Er lächelte Merry an.
    Sie war sich ziemlich sicher, dass er sich als Frank, Leiter der Einrichtung, vorstellte, aber es war unmöglich, bei dem ohrenbetäubenden Krach aus dem Fernseher auch nur ein Wort zu verstehen.
    Sie erklärte, warum sie hier war – beziehungsweise versuchte es, aber sie hatte es so eilig, Charlene zu finden, dass ihr Blick immer wieder ins Wohnzimmer abwanderte. Sie rechnete nicht damit, das Mädchen mitten in der betagten Runde zu finden. Dennoch wollte sie sich ein Bild von dem Ort machen, an dem Charlene seit dem Begräbnis untergebracht war.
    Ganz dicht am Fernsehapparat sah sie einen alten Mann, dann einen noch älteren Mann, der eindeutig schon im 18. Jahrhundert gelebt hatte und bereits mit einem Fuß im Grab zu stehen schien …, dann eine alte Frau, die mit einer anderen Händchen hielt, und schließlich jemanden unbestimmten Geschlechts, der auf der Couch lag und dem Speichel das Kinn hinunterlief …
    Es gab nur ein Gesicht, mit dem sie überhaupt nichts anfangen konnte. Es gehörte jemandem, der in einem großen alten Lehnstuhl saß. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass es ein junger Mensch war. Ihr Herz machte einen Sprung – aber nur einen Moment lang. Das Kind saß vornübergebeugt und war mit irgendeinem Computerspiel beschäftigt, aber an der Kleidung war das Geschlecht eindeutig zu erkennen. Der Junge trug Army-Klamotten – ein langes T-Shirt, Hosen, klobige Stiefel – und hatte einen Bürstenschnitt, als hätte er gerade bei den Marines angeheuert.
    Wenigstens war Charlene hier nicht das einzige menschliche Wesen unter neunzig Jahren gewesen. Fast alle wirkten lieb und freundlich, aber trotzdem, je mehr Merry von allem zu sehen bekam, desto stärker wurde das Bedürfnis, Charlene rasch von hier weg und nach Hause zu bringen.
    “Charlene”, erklärte sie Frank erneut. Sie hatte Bedenken, dass er sie wegen des dröhnend lauten Fernsehers nicht verstanden hatte. “Ich habe Dokumente mit der Erlaubnis, sie mitzunehmen. Mr. Oxford sollte eigentlich angerufen haben. Ihre Urgroßmutter als einzige Verwandte ist der alleinige Grund, warum sie hier ist, bis ein Vormund für sie gefunden wird …”
    “Ja. Genau. Wir haben Sie, wie ich bereits mehrmals gesagt habe, erwartet. Und hier ist sie ja auch.”
    Er zeigte auf das Kind, den Jungen.
    Merry schüttelte den Kopf. Herrje! Die vergangenen zehn Tage hatte sie ihrem Dad, ihrer Familie und ihren Freunden versucht, ihr Vorhaben zu erklären, hatte ihr ganzes Leben umgekrempelt und ihre Sachen zusammengepackt, hatte einen grauenvollen Zweitagestrip zurückgelegt, war in einer schrecklichen Nobelgegend gelandet und hatte die ganze Nacht geputzt.

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