Alle lieben Merry
im gleichen Alter wie Charlenes Dad war. Er kam großartig mit ihr aus.
Da der Film sie entsetzlich langweilte, hatte sie genügend Zeit, das Wohnzimmer einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Die dominantesten Möbel im Raum waren die beiden Sofas, die so gruppiert waren, dass man dem beinahe kinoleinwandgroßen Fernseher sehen konnte. In der Mitte des Zimmers befand sich ein Kamin, um den herum eine Bank aus dunklen Ziegelsteinen gemauert war. Ein riesiger Ohrensessel stand in einer Nische am Fenster. Das Zimmer war geräumig und gemütlich, aber es zeugte eindeutig von ausschließlich männlichem Geschmack. Hier würde man ganz bestimmt keinen Nippes als Staubfänger finden.
Als sie Jack zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er gerade Holzbretter aus seinem Wagen ausgeladen. Jetzt sah sie, wofür er sie brauchte. Vom Wohnzimmer führten ein paar Stufen hinunter zu einem weiteren Raum, wo er sich offenbar Bücherregale baute. Die Baustelle war hinter einer Glastür, aber sie sah Sägespäne, Elektrowerkzeuge, den Sägebock und die Bretter.
Gern hätte sie sich mehr vom Haus angesehen. Doch irgendwann musste sie während des Films todmüde eingenickt sein, denn als sie aufwachte, spürte sie Charlenes Hand auf der einen Schulter und Jacks Hand auf ihrer anderen. Es war nach Mitternacht. Zeit, ins Bett zu gehen.
Im Obergeschoss lagen die Zimmer von Jacks Söhnen auf einer Seite des Flurs. Dazwischen gab es ein Badezimmer. Charlie nahm das blaue Zimmer und Merry taumelte müde in das grau-weiß eingerichtete, das am nächsten zur Treppe lag. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie eingeschlafen war, konnte sich an gar nichts erinnern, wusste nur, dass sie plötzlich erschrocken aufwachte, weil draußen Lichter blinkten.
Die Leute von der Elektrizitätsgesellschaft waren da. Jack erschien gleichzeitig mit ihr im Flur.
“Ich kümmere mich darum”, sagte sie verschlafen. “Du sollst meinetwegen nicht noch mehr Unannehmlichkeiten haben, Jack …”
Er deutete auf ihr Outfit. Sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass das Sweatshirt nicht wirklich der passende Aufzug war, um sich mit Handwerkern zu unterhalten. Dem konnte sie schwer etwas entgegenhalten. Außerdem hatte sie ohnehin nicht die leiseste Ahnung, was sie zu den Technikern vom E-Werk sagen sollte.
Er ging also allein nach drüben, und sie zurück ins Bett seines Sohnes. Jetzt war sie hellwach und wurde mit jeder Minute wacher. Jack hatte sie wie eine liebenswerte, aber lästige kleine Schwester behandelt. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen, vor allem, da sie ihm nur Schwierigkeiten machte, seit sie hier war. Wenn sie sich jedes Mal, wenn sie zusammen waren, sehnsüchtig zu ihm hingezogen fühlte, war das nicht von Bedeutung. Dass er ihre Gefühle erwiderte, erwartete sie gar nicht. Sie wollte nur etwas
tun
, damit sie besser miteinander auskamen.
Die Minuten zogen sich. Endlich sah sie, wie die Blinklichter des Einsatzwagens sich entfernten. Unten hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde. Sie wartete. Jack musste erschöpft sein und würde sich schleunigst ins Bett begeben. Doch weitere Minuten verstrichen, und noch immer waren keine Schritte auf der Treppe zu hören.
Bleib liegen, beschwor sie sich … auch dann noch, als sie schon die Decke zurückschlug und aus dem Bett stieg. An der Treppe angelangt, zögerte sie. Auf eine weitere Begegnung mit ihr hatte er wahrscheinlich so viel Lust wie auf ein Loch im Kopf. Dennoch schlich sie auf Zehenspitzen hinunter, fröstelnd und geplagt von Schuldgefühlen wegen seiner schlaflosen Nacht. Sie hatte das Bedürfnis, alles irgendwie in Ordnung zu bringen.
Im Wohnzimmer brannte Licht. Aber es war niemand da.
Sie fand ihn in der Küche.
Er stand im Licht der Neonröhre über dem Essbereich und goss sich gerade ein Glas Scotch ein. Ein langer Schatten fiel über sein Gesicht unter dem zerzausten dunklen Haar. Merry spürte, wie ihr Puls schneller schlug, als wittere etwas in ihr Gefahr. Was ziemlich lächerlich war, da sie körperlich nicht die geringste Angst vor Jack hatte. Aber da war etwas an diesen breiten, kräftigen Schultern, etwas an dieser intimen Situation, mit ihm allein mitten in der Nacht hier zu sein, etwas an diesem sehr männlichen Schatten …
Er gab ein paar Eiswürfel in seinen Drink. Dann drehte er sich plötzlich um und entdeckte sie. Die Gefahr, die Merry gewittert hatte, multiplizierte sich um ein Vielfaches. Sein Blick schien für einen Moment wie elektrisiert. Aber
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