Alle lieben Merry
Mädchen kam gerade aus dem Badezimmer gegenüber der Küche. Bei ihrem Anblick blieb Merry wie versteinert stehen. Das University-T-Shirt passte Charlene zwar genauso schlecht wie ihr selbst, aber das war nicht der Grund für Merrys Erstaunen. Zum ersten Mal sah sie Charlene ohne Gel im Haar. Ihr Gesicht war ganz rosig und frisch und sah unglaublich verletzlich und unschuldig aus. Ihr schmaler Körper wirkte so feminin, wenn er nicht in Militärklamotten steckte und keine stramme Haltung annahm. Und der zarte, weiche Flaum auf ihrem Kopf war heller als Weizen und glänzte wie Seide.
“Ach, Süße”, sagte Merry leise, “du bist so schön.”
Es war das Falsche gewesen. Das war sofort klar. Merry hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, als sie sah, wie die Kleine sofort wieder eine angespannte Haltung einnahm.
“Ich will nicht schön sein.”
Gut, vielleicht gab es hunderttausend wichtigere, akute Probleme zu lösen, aber Merry war über die Bemerkung so verblüfft, dass sie nachfragen musste. “Warum?”
Charlenes Gesichtsausdruck wurde finster. “Wegen meiner Mom. Ich glaube, sie war schön. Also total schön. Die Leute konnten den Blick gar nicht von ihr abwenden. Dad hat das immer erzählt.”
“Und du glaubst, das ist schlecht?” Merry war sich bewusst, dass sie beide in Jacks Flur standen, nichts als ihre Sweatshirts anhatten und dringend ihre Strom-Krise bewältigen mussten, doch im Moment schien nichts wichtiger zu sein als das, was Charlie gerade gesagt hatte.
“Ich weiß nicht, ob es schlecht ist. Ich weiß nur …, dass ich nie wie meine Mom werden möchte. Sondern wie mein Dad. Und ich möchte ihn nicht auch nur eine Sekunde vergessen. Er war ein Held. Stark. Und souverän. Und er hatte vor nichts Angst.”
Plötzlich ergab alles für Merry einen Sinn. Charlene versuchte nicht, ein Mann zu sein. Sie wollte sich stark und sicher fühlen. So, wie sie sich gefühlt hatte, als ihr Dad noch am Leben gewesen war.
Jene Art von Sicherheit, die sie seither nicht mehr gespürt hatte.
“Wenn du einmal Lust hast zu erzählen”, sagte Merry sanft, “würde ich wirklich gern mehr über deinen Dad erfahren.”
Charlene hätte vielleicht geantwortet, wenn ihr Gespräch nicht durch ein Geräusch unterbrochen worden wäre. Die hintere Eingangstür wurde geöffnet und eine Frauenstimme rief ein fröhliches: “Jack? Ich bin’s!”
Merry brauchte nur um die Ecke in die Küche zu lugen, um den Eindringling zu sehen – und natürlich auch selbst gesehen zu werden. Das Erste, was ihr durch den Kopf ging, war ein leises
Oh, oh.
Und ihr zweiter Gedanke war, dass diese Dame so gelegen kam wie ein Pickel am Tag der Hochzeit.
Merry war vielleicht etwas langsam von Begriff, wenn es um Geografie ging oder Orientierungssinn gefragt war, aber diese Situation erfasste sie in einer Tausendstelsekunde. Jack hatte heute Abend ein Date.
Die Frau hatte sich mächtig zurechtgemacht. Sie trug zwar nur Hosen und einen Pulli, aber alles passte so perfekt, wie es sich für eine Verabredung an einem Samstagabend gehörte. Und Merry erkannte ein Samstagstyling, wenn sie es sah – vom sexy roten Lippenstift bis zu den wundervoll weich fallenden Locken. Jede Wette, dass die Frau Spitzenunterwäsche trug, wahrscheinlich einen Stringtanga, wahrscheinlich auch einen durchsichtigen BH, praktischerweise vorne zu öffnen. Allein das Parfum würde jeden Mann um den Verstand bringen. Merry musste es wissen. Sie hatte es selber bei Dates verwendet – zumindest, wenn sie ernsthaft an dem Kerl interessiert gewesen war.
“Wer um alles in der Welt sind Sie?”, fragte die Frau, der angesichts Merrys nackter Beine und der nassen Haare der Mund offen stehen blieb.
“Kein Grund zur Beunruhigung”, sagte Merry sofort. “Es ist nicht, was Sie denken …”
“Ja, natürlich.” Die Frau stand wie vom Donner gerührt da. Ihr hübsches Gesicht bekam einen kalten Ausdruck. “Ich weiß, dass Jack auf Abenteuer steht, aber mit so etwas habe ich nicht gerechnet. Nichts für ungut, aber ich stehe nicht auf flotte Dreier.”
“Wie bitte?”
Dann entdeckte die Frau Charlie, die hinter ihr mit dem gleichen Sweatshirt wie Merry auftauchte.
“Oh mein Gott”, sagte die Frau. “Grundgütiger. Grüßt Jack von mir, wenn ihr ihn seht. Ich bin dann mal weg.”
Sie beabsichtigte offenbar, sofort zu flüchten, aber ihr Plan wurde durch den plötzlich hereinstürmenden Jack durchkreuzt. Er blickte zu seiner Verabredung. Er blickte zu Merry
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