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Alle lieben Peter

Alle lieben Peter

Titel: Alle lieben Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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drehten wir schweigend um.
    »Wenn das so ist mit dem Schnee«, meinte Paul nach einer Weile, während wir abwärts schritten, »dann hat es sich bestimmt sehr gequält, ehe es vorbei war. Armes Tier!«
    Ich nickte: »Das ist etwas, was ich überhaupt nicht verstehe. Warum müssen sich diese unschuldigen Wesen so quälen? Für uns, die wir schuldig sind, uns schuldig machen müssen, wie wir uns auch drehen und wenden, mag der Todeskampf so eine Art Bezahlung sein, Buße. Besser, als wenn’s uns im nächsten Leben angekreidet wird. Aber ein unschuldiges Tier! Wenn ich sie manchmal so sterben sehe, so ein armes kleines Käferchen, das ein Ameisenlöwe in seinen Sandtrichter herunterzieht. Man muß sich das bloß vorstellen: Du gehst spazieren und freust dich deines Lebens, und plötzlich fährt unter dir aus dem Erdboden heraus eine furchtbare Zange, gräbt sich in deinen Leib und reißt dich allmählich herunter. Oder wenn ich so eine Katze sehe, die eine noch quiekende Maus in ihren Fängen hat und erst mal eine Weile mit ihr spielt, bis sie sie totbeißt — da komme ich nicht mit, Paul. Da ist auch etwas nicht in Ordnung, das lasse ich mir nicht ausreden. Etwas stimmt nicht mit dieser ganzen Welt und mit unserem ganzen Leben.«
    Wir gingen schweigend weiter. Der Himmel über den Felsgiganten begann in Purpur zu flammen. Unten war schon wieder das Dach des Häuschens zu sehen. Aus dem Schornstein fächerte blauer Rauch und verschwebte in der Dämmerung, die aus den schwarzen Wänden der Tannen kroch. Pauls Augen gingen zu den Felsspitzen in das Abendrot. Die Furchen des Leides auf seinem Gebiet waren nun wieder ganz deutlich.
    »Ja«, sagte er schließlich, »es kann nur so sein, daß wir ‘s eben nicht richtig sehen. Wir sehen doch überhaupt nichts richtig! Alle unsere Sinne täuschen uns. Denke nur an die Perspektive, denk an die Atomstruktur der Dinge — es ist alles ganz anders, als wir es wahrnehmen. Warum sollte es mit dem Leben und seinen Gesetzen nicht auch so sein? Vielleicht brauchen wir Leid und Qual für die Aufgabe, die uns gestellt ist, genauso notwendig wie Luft und Brot und Wasser — und Freude!« Er sah noch immer an mir vorbei in die Himmelsglut: »Weißt du — es mag dich erschrecken —, aber manchmal, wenn ich einem Sterbenden seine letzten Minuten leichter mache, frage ich mich, ob ich recht handele, ob ich nicht einem höheren Willen ins Handwerk pfusche und ob dieses Häufchen Mensch, das da vor mir wimmert, nicht gerade diese Qual braucht, um noch irgendeine letzte Reife, eine letzte Erkenntnis dadurch zu erlangen. Ich helfe trotzdem, aber ich habe mitunter das verdammte Gefühl, daß es nur Egoismus ist, was ich da praktiziere, weil ich es selbst nicht mit ansehen kann, wie der da vor mir sich quält.«
    »Das ist schon ziemlich nahe am letzten Abgrund, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Wir standen wieder vor dem Häuschen.
    »Wo sind denn eigentlich die beiden anderen?« fragte Paul.
    »Wahrscheinlich bei Fräulein Braut. Das ist augenblicklich die Schäferhündin vom Pfarrer.«
    Paul sah auf die Uhr: »Wie weit von hier?«
    »Viertelstunde — zwanzig Minuten höchstens.«
    »Wollen wir hingehen? Ich will doch noch was von meinem Peter haben.«
    »In Ordnung. Schleppen wir sie ab.«
    Auf dem Wege erzählte ich ihm von Peter und seinen Wandlungen. Wie er sich gegen Cocki behauptete, den Weffi erzog und sich mit Ratzi verbündete, um der Braut zu huldigen.
    »Mit einem Wort«, sagte Paul, »das Leid hat ihn zum Mann gemacht. Da siehst du’s wieder.«
    Vor dem Pfarrhaus herrschte nur wenig Betrieb. Der Schneematsch hatte wohl die meisten vertrieben. Aber Cocki und Peter und Ratzi saßen noch mit ein paar anderen da. Peter kam auf uns zu, leckte uns die Hand und steckte Paul den Kopf zwischen die Knie. Er hob ihn hoch.
    »Sieh dich vor«, sagte ich, »er macht dir den ganzen Mantel dreckig.«
    Paul steckte die Nase in die graue Stirnlocke: »Das ist uns ganz wurscht, nicht wahr, Peter? Und was mir Herrchen alles von dir erzählt hat! Du bist ein Mann geworden und hast sogar noch eine Braut bekommen. Hast wohl selber nicht mehr geglaubt, daß du zu guter Letzt noch mal so ‘n richtiger kleiner Hundehund werden würdest!«
    Peter sah ihn mit großen glänzenden Augen an und hechelte.
    »Klingt ja scheußlich, Paul«, sagte ich, »wie ‘ne Grabrede.«
    Er setzte Peter schweigend auf die Erde und legte ihm die Leine an. Als er sich wieder aufrichtete, war er sehr ernst, schüttelte den Kopf: »Ja,

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