Alle lieben Peter
ich weiß nicht, was das ist. Gerade jetzt wieder hab’ ich es gespürt — es ist etwas über diesem kleinen Kerl — so was Dunkles, Tragisches. Wahrscheinlich alles Unsinn. Komm, Peter, wir haben einfach Hunger. Weiter gar nichts.«
Ein halbe Stunde später saßen wir alle zusammen beim Abendbrot. Cocki und Weffi schnarchten, nachdem Mathilde sie abgetrocknet hatte, auf der Couch. Peterle schwelgte in Mathilde. Er hatte seinen Kopf zwischen ihre Knie gerammt und ließ sich von ihr die Ohren plätten. Paul hob das Rotweinglas gegen die Lampe, drehte es hin und her, trank es dann genüßlich aus: »Das war auf das neue Heim!« sagte er und lächelte uns an. »Kinder, ihr sitzt im Paradies, wißt ihr das eigentlich?« Er sah auf die Uhr: »Na, dann werden wir mal. Mathilde! Josef!«
Draußen am Wagen legte er mir den Arm um die Schulter: »Das war mal wieder so ein richtig schöner Tag. Alles drin.«
»Komm bald wieder«, sagte ich.
»Ich denke gar nicht dran. Los, Josef, Abfahrt! Der Kerl verführt einen ja direkt!«
Als der Wagen anfuhr, steckte er noch mal den Kopf heraus: »Paß auf meinen Peter auf!«
5
Allmählich, aber unaufhaltsam, näherte sich das Weihnachtsfest. Innerhalb des Häuschens spürte ich schon die Vorbereitungen. Nach einem uralten Familienrezept wurde der Lebkuchenteig eingeknetet. Das Dreigespann wich der Mama nicht von der Schürze, weil ab und zu Mandeln und Rosinen heruntertropften. Alle drei fraßen sie leidenschaftlich. Die Gefährtin schnürte unzählige Pakete, während die Mama außer dem Pfefferkuchenkneten auch mich persönlich aufs Korn nahm. Sie zwang mich auf die Couch nieder, ich mußte die Schuhe ausziehen, dann auch die Strümpfe, und dann begann sie mir Maß zu nehmen. Wo ich doch so furchtbar kitzelig an den Fußsohlen bin! Wenn sie mit dem Ballen fertig war und an die Fußspitze kam, hatte sie das Ballenmaß schon wieder vergessen, dann fiel ihr das Notizbuch herunter, und dann ging die ganze Sache wieder von vorn los.
»Du, jetzt langt’s mir aber!« sagte ich. »Was soll das alles?«
»Große Überraschung!«
»Soll ich mal raten?«
»Nein!«
Am Abend des Tages, während wir lesend um das Radio saßen, sah sie mich über die Brille streng an: »Der Winter hier wird schlimm!«
»Na, bisher hat er sich ganz manierlich benommen.«
»Das kommt erst! Warte mal, im Januar und Februar! Da reichen normale Strümpfe für deine Knickerbocker gar nicht aus! Da müßte man so richtige Schafwollstrümpfe haben, selbstgestrickte! Würde dich so was freuen?«
»Nein.«
»Pfui, du bist gemein«, sagte Frauchen.
Ich lachte und hob Mamachens Gesicht, das sich in erhabenem Kummer gesenkt hatte, an der Nase hoch: »Glaubst du das?«
»Dir ist alles zuzutrauen.«
»Mamachen«, sagte ich feierlich, »Schafwollstrümpfe sind schon immer der Traum meines Lebens gewesen.«
»Wasserabstoßende!« sagte die Mama.
»Wieso? Schwitzt man so drin?«
»Unsinn. Weil der Schnee taut, sobald du ins Zimmer kommst!« Sie sah auf und in die dunkle Ecke: »Was hat er denn?« Peterchen, der bis dahin als friedlicher Kringel auf der Couch lag, hatte den Kopf gehoben. Er sah sie ernst an, dann stellte er die Ohren hoch und horchte.
»Vielleicht ist jemand draußen!« meinte Frauchen.
»Wer soll denn draußen sein?« fragte ich.
Ich legte seufzend mein Buch weg, stand auf und ging zur Tür. Das Holzpferd war gleich herunter von der Couch, machte »Weff-weff!« und suchte an meinen Pantoffeln vergeblich nach Senkeln. Mit dumpfem Plumps war auch der Dicke herunter. Ich ließ sie heraus.
Halber Mond über dem Gebirge, jagende Wolken. Dann wußte ich, wonach Peter gehorcht hatte: der Föhn! Er orgelte in der Ferne, kam heran. Die ganze Nacht war jetzt voll Brausen, die Bäume knarrten, der Schnee wurde hochgerissen zu tanzenden Säulen, der Mond verschwand. Aus der rauchigen, unendlichen Schwärze wirbelte es nieder, blitzte zehntausendfach im Schein der Ecklampe am Haus. Die Hunde konnte ich nicht mehr sehen. Nur ab und zu hörte ich einen von ihnen in der Nähe schnaufen oder sich schütteln. Bergwinter! Unsere kleine Zauberschachtel voll Licht und Wärme auf dem Grunde des Luftozeans und darüber vier-, fünftausend Meter nächtlichen Schneesturms. Ich fühlte, wie eine tiefe, angenehm gruselige Erregung mich ergriff.
Am nächsten Morgen überredete ich meine Gefährtin zu einer Expedition. Wir wollten oberhalb der Schlucht entlanggehen.
»Vielleicht finden wir noch etwas Holz«,
Weitere Kostenlose Bücher