Alle lieben Peter
macht sich ja rein verrückt, und es ist ihm so gut, wenn er mal ‘n bissel ‘rauskommt!«
»Wie ist denn Trächtig« in Schuß?« fragte ich.
»Wer?«
»Ach so — ich meine, der Wagen!«
Er zwinkerte mich an! »>Prächtig
da gibt’s keinen Zweifel, und auch stärker und schneller. Aber trotzdem — der hier ist so einer, in den man sich verliebt.« Worauf wir uns in die Vorzüge der Graphitbeimischung zum Motoröl vertieften.
Dann kam Paul wieder: »Also, bis nach dem Abendbrot! Was machen wir jetzt?«
»Ich würde sagen, wir gehen spazieren!« meinte ich. »Da über die kleine Brücke, den Hang hinauf. Komm erst noch mal ‘rein, wir ziehen uns hohe Stiefel an, denn es taut.«
Bei dem Wort >spazieren< waren wie durch Zauberei alle drei bei uns. Sie drängelten sich mit uns so ungestüm in die Haustür, daß Paul über den Dicken stolperte und um ein Haar auf die Nase gefallen wäre. Drinnen beim Stiefelanziehen gaben sie derartig an, daß wir kaum weiterkamen. Weffi zog immer wieder die Senkel auf, der Dicke riß uns die Stiefel aus der Hand oder er legte sich so über unsere Hände, daß wir keinen Knoten machen konnten. Hatten wir ihn schließlich fertig, zog ihn Weffchen wieder auf. Peterle wechselte von einem zum anderen, machte am Knie Männchen und tippte mit den Fliegenbeinen. Zwischendurch knurrte er die beiden anderen unwillig an: »Hört endlich auf mit dem Quatsch, sonst werden wir hier nie fertig!«
Paul richtete sich schließlich ächzend auf, seine Augen waren hell und die Krähenfüße ganz verschwunden. Er lachte: »Ich habe nie gewußt, daß Stiefelanziehen so eine lustige Sache ist!«
Als wir ein paar Minuten später jenseits des Baches den Höhenweg hinaufpusteten, spann er das Thema weiter: »Ja, es ist unglaublich, was einem so ein Tier bedeuten kann. Ich höre es immer wieder von meinen Patienten, besonders von denen, die unter Druck leben. Was meinst du denn dazu, du schreibst doch über Tiere?«
Ich starrte auf den dunklen Waldboden, der schon wieder unter dem Schnee vorkam: »Manchmal bin ich im Zweifel, ob ich recht daran tue, das Tier den Menschen noch näherzubringen, als es ihnen sowieso schon ist. Wenn mich so der graue Wolf beißt — gewöhnlich nachts um drei —, dann frage ich mich, ob unsere Tierliebe nicht im Grunde nur Schwäche ist. Wer mit seinen Mitmenschen nicht fertig wird, flüchtet sich zum Tier, das ihm nicht widersprechen kann und sein Sklave ist. Vielleicht sollte man im Gegenteil den Menschen diesen Weg verrammeln, diesen Weg der Schwäche, damit sie gezwungen sind, sich mit ihren Mitmenschen zusammenzufinden oder sie wenigstens zu verstehen.«
Paul blieb mit vorgeschobener Unterlippe stehen und stocherte mit seinem Stock nachdenklich in einem Häufchen frischer Wildlosung. Dann schüttelte er energisch den Kopf: »Bin ich ein Schwächling, wenn ich ein Tier den Menschen vorziehe oder es ebenso liebe wie einen nahen Menschen? Ich glaube nicht. Sieh dir doch mal große Menschen an — Bismarck, Byron, Schopenhauer, Friedrich den Großen. Friedrich der Große wollte bei seinen Windspielen begraben sein, und ich halte es für eine ganz üble Sache, daß man ihm diesen Wunsch nicht erfüllt hat! Byron ließ seinem Neufundländer die Grabschrift setzen: >Er hat alle Tugenden der Menschen ohne ihre Fehler.< Na, und denke an das, was Schopenhauer schrieb: »Woran sollte man sich von der endlosen Verstellung, Falschheit und Heimtücke des Menschen erholen, wenn die Hunde nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Mißtrauen schauen kann.< Das waren doch alles keine Schwächlinge, oder?«
Wir stiegen langsam bergauf, einen Serpentinenweg. Über uns begann Fels, der Weg war völlig schneefrei und von den langen Schatten der Bäume übermalt. Unten lag die Zauberschachtel, schon ganz winzig. Cocki und Peter, die sich schon vor ein paar Minuten dünnegemacht hatten, trotteten gerade als zwei Punkte am Haus vorbei, Richtung Braut. Nur Weffchen tippelte mit uns, ab und zu einen Haps Schnee fressend.
»Du meinst, sie waren keine Schwächlinge?« fragte ich. »Man muß das, glaube ich, präziser ausdrücken und sagen: In einer bestimmten Schicht ihres Wesens waren sie keine. Wir alle sind doch sozusagen mehrere Menschen, die zwar den gleichen Körper als Wagen für ihre Erdenfahrt benutzen, aber im Grunde gar nichts miteinander zu tun haben. Wenn Bismarck ein
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