Alle lieben Peter
Leben lang reizend zu mir ist und mir auf dem Sterbebett gesteht, daß sie sich eigentlich nichts aus mir gemacht hat — wenn ich also, wie gesagt, die Wahl hätte zwischen den beiden, würde ich die zweite nehmen.«
Sie legte die Hand vor den Mund: »Das würden Sie? Tatsächlich?«
»Ja, Mathilde, das würde ich. Es kommt schließlich auf die Summe des Glücks an, die ein Mensch erfährt, und die ist im zweiten Fall bestimmt größer.«
»Ja, aber wie soll ich ihn denn — behandeln? Schließlich bin ich doch kein junges Mädchen mehr und er kein Jüngling! Wir können uns doch nicht so albern haben!«
»Liebe ist niemals albern, Mathilde, und wenn sonst alle anderen darüber lachen und es albern nennen. Der da droben, der lacht nicht drüber, seien Sie sicher, der schmunzelt höchstens und freut sich. Und was die Behandlung angeht — das ist ganz einfach. Behandeln Sie ihn doch wie ‘nen Hund!«
»Wie ‘nen Hund?«
»Ja! Zum Beispiel wie Peterchen da! Wenn Sie dem schon so viel Liebe schenken, wieviel verdient da erst der Mann! Kraulen Sie ihm auch’s Köpfchen, bedauern Sie ihn, wenn ihm was weh tut, machen Sie ihm gutes Essen, nehmen Sie ihn an Ihr Herz, wenn er Kummer hat. Wir Männer sind arme Hunde, denken Sie dran, Mathilde!«
Beim Kaffee schwätzten wir uns alle zusammen gründlich aus. Die Erinnerungen an das alte Haus wurden aufgewärmt und an die Menschen von damals. Paul lehnte sich stöhnend zurück, er sah so richtig zufrieden aus:
»Kinder, ich platze! Drei Windbeutel — na, Servus.« Er sah sich um: »Tja, wenn ich das hier so sehe — ich könnte eigentlich auch mal was für mich tun.«
»Und warum tust du’s nicht?« fragte meine Gefährtin.
»Ja, warum?«
»Der Unentbehrlichkeitsfimmel, nicht wahr? Alle seid ihr unentbehrlich! Dabei ist jeder entbehrlich.«
Er sah sie nachdenklich an: »Wenn ich das nur bestimmt wüßte, mein Kind! Gewiß ist jeder im großen und ganzen zu entbehren. Aber es gibt so ‘ne Art — wie soll ich sagen — relative Unentbehrlichkeit. Mach hopp, Peter!« Er strich mit dem Finger die letzten Schlagsahnereste vom Teller, und Peter, der ihm auf den Schoß gesprungen war, zutschelte sie mit halbgeschlossenen Augen. »Ja — die relative Unentbehrlichkeit! Nimm mal an, ich komme für drei Tage hier heraus, und in der Zeit wird ein Fall eingeliefert, den nur ich hätte retten können. Es gibt solche Fälle ab und zu, nicht sehr oft, aber es gibt sie — leider.«
»Und wenn du nun krank wärst?« fragte die Gefährtin.
»Das ist was anderes, dann könnte ich tatsächlich nicht.«
»Demnach kannst du also niemals Urlaub machen.«
»Doch — dann besorge ich mir einen Vertreter, der den Aufgaben gewachsen ist. Ich kann nur nicht so ein verlängertes Weekend machen, das geht eben nicht. Es gibt halt so’ne und solche Berufe, bequeme und unbequeme. Die bequemen kann man ausziehen wie ‘nen Mantel, in die Garderobe hängen und vergessen. Die unbequemen stecken einem im Fleisch wie ‘ne Harpune, und die Leine kann noch so lang sein — man hängt dran und kommt nie los. Für alles muß man eben bezahlen, und wer klug ist, findet sich damit ab und versucht nicht daran zu zerren.« Er hob Peterchens Kopf gegen sein Gesicht: »Du verstehst mich! Kerlchen, du hast ja noch tollere Augen bekommen als früher! Die Majestät des Leides! Was hast du eigentlich abzubüßen, verwunschene Seele, hm? Auf jeden Fall machst du es mit Grazie. — Ja, Kinder, jetzt, wo Mathilde bei uns ist, könnte ich ihn nehmen!«
»Ja, aber jetzt kriegst du ihn nicht«, sagte ich, »jetzt bleibt er bei uns — bis daß der Tod uns scheidet.«
»Amen!« sagte Mathilde und sah sich erschrocken um. Wir lachten.
»Das ist mir so ‘rausgerutscht«, entschuldigte sie sich, »weil ‘s der Herr so feierlich gesagt hat!«
»Trösten Sie sich, Mathilde«, sagte ich, »mir ist’s auch so ‘rausgerutscht. Manchmal sagt man ja so was, als ob ein anderer aus einem spricht.«
Nach dem Kaffee ging ich mit Paul vors Haus. Die Sonne stand neben dem Dreitausender und tauchte den Waldhang jenseits des Gießbaches in ihr schräges Licht, das schon voll blauer Töne war. Es taute gewaltig, und im Himmel standen die Föhnfahnen.
»Jetzt müßte ich eigentlich fahren«, sagte Paul.
»Unsinn! Ruf doch an, ob was los ist.«
»Na schön.«
Während er telefonierte, kam Josef zu mir, der wieder an >Prächtig< gebastelt hatte.
»Is’ recht, daß Sie den Professor hierbehalten!« sagte er. »Der
Weitere Kostenlose Bücher