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Alle lieben Peter

Alle lieben Peter

Titel: Alle lieben Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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großer Staatsmann war und Friedrich der Große außerdem ein großer Feldherr und Schopenhauer ein großer Philosoph — deshalb haperte es doch bei allen dreien ganz offensichtlich mit der Menschenliebe! Also könnte man sagen: eine der Persönlichkeiten, die in ihnen hausten, war doch schwach und flüchtete sich zum Tier. Übrigens — da wir gerade davon reden — fällt mir auf, daß die großen Menschenliebenden und Religionsstifter offenbar überhaupt keine Beziehungen zum Tier hatten!«
    Paul blieb wieder stehen, beugte sich nieder und klopfte Weffi, der ihm einen Tannenzapfen hinwarf: »Und trotzdem! Man sollte keinem den Weg zum Tier versperren, gerade den Schwachen nicht, den Gescheiterten, den Enttäuschten. Wie viele würden ohne ihr Hündchen oder ihre Katze oder ihren Papagei einfach im Abgrund der Verzweiflung ertrinken. Das Tier hält sie in der Liebe! Das allein rechtfertigt alles.« Er richtete sich auf, sah mich an und kniff das eine Auge zu: »Ich kenne dich, du Halunke! Im Grunde bist du ganz genau der gleichen Ansicht! Du wolltest nur, daß ich dir die Argumente liefere und für dich sozusagen die philosophischen Kastanien aus dem Feuer hole!«
    Ich grinste. Weffi wurde unruhig, hob schnüffelnd die Nase und hüpfte dann uns voraus auf die nächste Wegkehre zu.
    Wir gingen langsam weiter. »Hast du mal«, sagte ich nach einer Weile, »über die merkwürdig prominente Rolle nachgedacht, die das Tier in den Mysterien aller Völker spielt? Nicht nur als Opfer, sondern als göttliches Wesen! Die tierköpfigen Götter der Ägypter, die heiligen vier Tiere in der Spitze der christlichen Himmelshierarchie, die heilige Schlange, die heilige Kuh der Inder — das ist mehr als Flucht zum Tier, das ist vielleicht so was wie — Rückerinnerung.«
    »Du meinst, weil wir mit dem Tier den gleichen Ahn haben?«
    »Das und noch viel mehr. Ich denke an unsere viel früheren Ahnen.«
    »Und wer soll das sein?«
    »Na, wenn wir mal als gegeben annehmen, daß wir uns vom Tier durch die höhere Intelligenz unterscheiden, dann sind unsere Ahnen die jeweils intelligentesten unter den Tieren gewesen, die erste Zelle, die auf den Gedanken kam, sich zu spalten, das erste Wassertier, das aufs Land kroch und seine Kiemen in Lungen umbildete!«
    »Möglich, hört sich ganz passabel an. Aber ich glaube, es war was anderes, was die alten Völker dazu brachte, Tiergötter über sich zu setzen. Denke daran, daß alle Entwicklung Spiralform aufweist: wir gehen immer wieder durch dieselben Stadien, wenn auch auf einer höheren Ebene. Wir tragen alle die Sehnsucht in uns nach der Einfalt und Unverstelltheit des Tieres, nach der Ungebrochenheit seiner Gefühle, nach seiner fraglosen Einfügung in das Schicksal. Und je differenzierter wir sind, je nervöser, hysterischer und verzettelter, desto stärker wird diese Sehnsucht nach der Einfalt, im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn du die Aufgabe hättest, eine Weltgeschichte in zwei Sätzen zu liefern, könntest du schreiben: >Der Weg der Menschheit führte von der monumentalen Einfachheit und Einheit der Frühzeit zur immer größeren Differenzierung der Zivilisation.< Stimmt’s?«
    »Ja. Und der zweite Satz?«
    »Den würde ich so formulieren: >Und dieser Weg wird vielleicht eines Tages auf einer höheren Ebene zurückbiegen zu einer neuen Einfachheit und Einheit, zu einer strengeren, monumentalen Formung unseres Lebens, des einzelnen Lebens wie des gemeinsamen.< Hm?«
    »Gar nicht schlecht für einen Chirurgen. Aber solche Formulierungen haben den Nachteil, daß...«
    Paul legte mir die Hand auf den Arm: »Du, sieh mal, was hat denn der Weffi da vorn?«
    Wir beschleunigten unsere Schritte, und da lag, jammervoll hingestreckt, am Rande des schmalen Steiges eine große Hirschkuh. Sie wirkte so unversehrt und lebendig, daß ich mich niederbeugte und nach ihrem Herzschlag fühlte. Paul schüttelte den Kopf: »Sie ist tot, wenn auch noch nicht lange.«
    Wir standen und starrten sie an. Die schönen großen Augen sahen gebrochen ins Leere, die Zunge hing seitwärts heraus.
    »Vielleicht hat sie Durst gehabt und Schnee gefressen«, sagte ich. »Ein Förster hat mir mal erzählt, daß sie daran sterben. Ein anderer hat’s allerdings bestritten.«
    Weffi beroch sie vorsichtig, das eine Füßchen hochgehoben, als traue er ihrem Tod nicht. Er sah sie sich ganz genau an, schnupperte an ihren Hufen, an ihrer Schnauze.
    »Wir wollen ihn an die Leine nehmen«, sagte Paul.
    Ich tat es. Dann

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