Alle lieben Peter
dann mit steifen Beinen gegen das große Tigerfell mit dem fletschenden Kopf zu, das in der Diele hing. Er sträubte die Nackenhaare und knurrte tief wie ein Bernhardiner.
»Der Professor hat schon telefoniert«, sagte Agathe, »das Abendbrot ist fertig.«
»Aber ich möchte eigentlich mit der Mama...«
Ihre altersblassen Augen sahen mich an: »Sie werden mir doch das nicht antun, Herr Doktor! Nur ein kleiner Imbiß.«
Sie wollte mir aus dem Mantel helfen, ich wehrte ab: »Nein, danke, erst nach dem ersten Schlaganfall!«
Sie kicherte: »Das hat lange Zeit!«
An einem Löwenfell und einem Arrangement von Zuluspeeren entlang gingen wir in die Bibliothek. Eichengetäfelte Decke, Bücher bis obenhin, deren goldbeschriftete Rücken im Rampenlicht blinkten. Vor dem Kamin ein niedriger Tisch, Damasttuch, schweres Silber, eine alte staubige Rotweinflasche im Körbchen, Hummersalat, kaltes Huhn, Importen und Hennessy auf einem Tischchen nebenan.
»Agathe«, sagte ich, »wollen Sie mich verführen?«
Sie kicherte wieder mit ihren drei Zähnen: »Ich weiß, daß die Liebe durch den Magen geht!«
»Dann müßten Sie ja Paul längst verführt haben.«
Sie seufzte: »Ach, der Professor merkt ja gar nichts. Er ißt mit dem Buch auf dem Schoß, wenn er überhaupt nach Hause kommt.«
»Hm!«
»Wie war denn der Hummer?«
»Wunderbar, Agathe. Aber von dem Huhn nehme ich nichts. Ich muß mit der Mama essen.«
»Dann nehmen Sie wenigstens eine Zigarre. Für den kleinen habe ich Schabefleisch besorgt.«
Sie holte vom Kaminbord ein Näpfchen und stellte es Peter hin. Der hatte sich inzwischen mit dem Eisbärfell unterhalten, das vor dem Kamin lag. Erst war er vor dem Riesenkopf mit den Glasaugen und den gewaltigen Hauern zurückgewichen. Dann hatte er sich — ein Fliegenbein vorsichtig vor das andere setzend — angepirscht, ihn berochen und ihm schließlich in die Nase gebissen. Darauf kriegte er eine Niestour. Der alte Kerl haarte sicher. Als Agathe Peterchen jetzt das Näpfchen hinstellte, fraß er es gierig leer, immer wieder kurz aufblickend und den Kopf mit den Glasaugen herausfordernd anknurrend. Zwischendurch sah er mich, Anerkennung heischend, an. Es war ein Spiel. Er wußte ganz genau, daß der da tot war. Aber ich sollte ihn loben. Schließlich leckte er den Napf sauber und sprang anschließend Agathe auf den Schoß. Sie streichelte ihn mit feuchten Augen: »Na, so ein liebes Kerlchen und so klug!«
Ich lehnte mich zurück und zündete mir die Zigarre an: »Wollen Sie ihn hierbehalten für ‘n paar Wochen?«
Sie seufzte: »Der Professor hat’s mir schon gesagt...«
»Na, und wie ist das, Agathe? Sie würden mir einen großen Gefallen tun!«
Sie seufzte wieder: »Ich tät’s gewiß gern, von Herzen gern, Herr Doktor. Aber sehen Sie — ich bin ‘ne alte Frau — und die große Wohnung — und so schlecht auf den Beinen.«
»Warum nehmen Sie sich denn dann nicht ‘ne junge Hilfe?«
Ihre Augen funkelten: »So ‘n junges Ding — das könnte mir
fehlen! Das nur mit dem Steiß wackelt und um den Professor herumgirrt! Weiberwirtschaft — hier im Haus!«
»Na ja, Agathe, wenn das so ist...«
Sie neigte sich zu mir vor und legte mir die Hand auf den Arm: »Und sehen Sie, vor allem eins, lieber Herr Doktor! So’n Seelchen wie der Peter braucht Liebe. Der will die ganze Liebe von ‘nem Menschen für sich. Und ich habe doch mein Lorchen, und — ich kann nicht teilen! Und Peter würde das merken, glauben Sie nicht?«
»Ja«, sagte ich, »Agathe, ich glaube es.« Ich sah mich um. Die Lampe brannte still. Die tausend Gesichter der Bücher, der schwere Danziger Barocktisch mit dem Fries tanzender Bauern, die dunkelroten Vorhänge — ein Heim, ein schönes, ruhiges, eigenes Heim.
»Tja — Agathe, dann werden wir so allmählich wieder aufbrechen.«
»Aber wohin wollen Sie denn mit den drei kleinen Kerlchen und der alten Mama?«
Ich stand auf: »Irgendwohin, Agathe, irgendwohin. Komm, mein Peterle!«
7
Es war schon dunkel, als wir zu Hause ankamen. Zu Hause!
Alle anderen Häuser hatten schon Licht. Nur unseres lag dunkel. Was war denn los? Ach so, man hatte ja schon alle Lampen abmontiert!
Aus der Küche drang ein schwachrötlicher Schein. Ich schlich mich ans Fenster. Da saß Mathilde bei einer Petroleumlampe vor einer dicken Kaffeetasse und las einen Fünfzig-Pfennig-Schmöker. Ich trat leise zurück und blickte zu den Bäumen auf, die groß unter silbernen Mondwolken rauschten. Was mochte
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