Alle lieben Peter
Kiste nehmen mit großen Luftlöchern, innen legt Ihr ein Kissen hinein, und ich hole ihn dann am Bahnhof ab.«
»Kiste!« sagte ich. »Peterle in ‘ner Kiste! Kommt überhaupt nicht in Frage. Er wird ja wahnsinnig, dieses kleine Seelchen.« Ich biß mir auf die Lippe: Peterle. Er machte vor Mamas Kommode Männchen, weil es daraus nach Schokolade roch. Ich konnte ihn gar nicht ansehen. Aber was sonst? Vielleicht hatte die Mama recht? »Es müßte ihn jemand hinbringen«, sagte ich schließlich.
»Das sind tausend Kilometer!« meinte die Mama. »Hin und zurück kostet es mindestens zweihundert Mark!«
»Moment«, sagte ich. »Du — ich habe eine Idee! Sophie hat mir gerade heute geschrieben, sie wird nach Bremen versetzt und fährt noch diese Woche. Sie muß ihn mitnehmen.«
»Sie wird sich schönstens bedanken«, sagte die Mama, »einen Hund mitzuschleppen!«
»Der Teufel soll sie holen«, sagte ich, »wenn sie’s nicht tut! Ich rufe sie sofort an.«
Ich sprang auf, rannte zur Post und errettete dort den Waldenauer Postbeamten vor einem Gähnstarrkrampf. Einmarsch eines Kunden, dreier Hunde und ein Ferngespräch nach München — er wurde direkt hysterisch. Ich erwischte Sophie in ihrer Firma, und ihre tiefe Stimme klang mir wie Musik, als sie sagte: »Das ist aber fein, Hannes, daß du anrufst! Kinder — ich habe ja so ein schlechtes Gewissen gegen euch, aber hier mit meinem Stellungswechsel und alles zusammenpacken.«
»Kann ich verstehen, kann ich verstehen, mein liebes Kind. Außerdem kann ich dir Gelegenheit geben, dein böses Gewissen völlig zu besänftigen.«
»So?«
»Ja. Kannst du Peterle mit nach Bremen nehmen?«
»Peterle?! Außer dreiundachtzig Koffern und einer kompletten Zimmereinrichtung auch noch ein süßes kleines Hündchen?«
Ich schwieg und hörte, wie sie Atem holte. Dann, als ich weiterhin nichts von mir gab: »Hallo — bist du noch da?«
»Ja.«
»Entschuldige, ich mußte erst mal Luft holen. Warum soll ich ihn mitnehmen?«
»Weil ich mit den drei Hunden nirgends unterkomme und weil — wenn Weffi allein ist — und weil Tante Helene in Bremen ihn nehmen will — und — ach, Sophie, ich bin’s müde. Seitdem wir Pech haben, hat plötzlich keiner mehr Zeit und keiner mehr Lust, und keiner kann und jeder muß erst mal. Vergiß es.«
Einen Moment war es ruhig im Hörer. Dann kam wieder ihre Stimme: »Hauptsache, du vergißt, Hannes, daß ich einen Moment vergessen hatte, was ich euch alles verdanke. Mein Zug geht morgen früh um acht Uhr drei, bring mir Peterle um sieben.«
»Aber es soll kein Opfer sein, Sophie.«
»Ist es nicht. Im Gegenteil. Eine prächtige Gelegenheit, meinen inneren Schweinehund zu bekämpfen.«
»Also gut, morgen um sieben.«
Ich hängte auf und schickte noch ein Telegramm an Tante Helene, daß sie Peterle am nächsten Tag von der Bahn abholen könne. Nur nicht denken, nur nicht denken. Wie ein Schlächter kam ich mir vor, wie ein Verräter.
Ich schlief die Nacht über auf einem wie üblich viel zu kurzen Sofa bei den Renkens, Cocki und Weffi auf dem Teppich davor. Nur Peterle schlief bei mir, weil ich infolge der Kürze des Sofas sowieso die Kniekehlen eingeknickt hatte.
Ich schlief schlecht, nicht nur wegen des Sofas. Dieser kleine Kobold da hinter mir — nun kam gerade er weg. Mein Fliegenbein, mein Jenseitsauge, mein geliebter kleiner schwarzer Teufel. Aber was sonst? — Fällt dir denn gar nichts ein, du Idiot? schrie ich mich an. Aber es fiel mir nichts ein. Schließlich riß ich mich zusammen: Wenn du so weitermachst, kannst du kein Wort mehr schreiben, und dann ist’s erst recht aus. Vielleicht hielt sich das Peterle tatsächlich am besten eine Zeitlang allein. Es würde ja hoffentlich nicht lange dauern. Außerdem sollte man vielleicht auch nicht übersentimental sein. Ein Tierchen wächst überall dort an, wo man gut zu ihm ist, wo es sein Fresserchen und seine Höhle hat. Und wenn das nun alles nicht stimmte? Na, gut, dann würde Tante Helene es mir schon schreiben und ich holte ihn zurück. Über zweitausend Kilometer? Jawohl — über zweitausend Kilometer!
Ich stand wieder auf, holte mir Papier und schrieb folgenden Brief an Tante Helene:
»Liebe Tante Helene!
Ich danke Dir für Dein hochherziges Angebot, unser Peterle zu nehmen. Es ist schon etwas Merkwürdiges um so eine Familie. Gewöhnlich ärgert man sich über sie und über die verschiedenen Niederträchtigkeiten, die man sich so in aller Unschuld antut, weil man doch
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