Alle lieben Peter
Schließlich gab er dem Sergeanten, an dem er leichte Bewußtseinszeichen zu bemerken glaubte, einen Tritt vors Schienbein. Der einzige Erfolg war, daß der Sergeant vom Stuhl fiel und verstärkt zu schnarchen begann.
So entschloß sich denn Loisl, seine letzte Sprachreserve ins Feuer zu führen, und sagte in der nächsten Gesprächspause einen am vergangenen Abend häufig und stets mit großer Herzlichkeit gebrauchten Ausdruck: »Son of a bitch!« (Hundesohn.)
Im Hörer schnappte jemand nach Luft, und dann folgte ein tiefes Schweigen. — Na, das scheint ihn ja gefreut zu haben, dachte sich Loisl und hängte schnell ein, ehe ihn weitere Fragen in Verlegenheit bringen konnten.
Von acht Uhr fünfzehn bis neun Uhr blieb die strategische Lage wiederum unverändert. Um neun Uhr zeigte der Sergeant leichte Lebenszeichen, richtete sich auf, gähnte ungeheuer und starrte Loisl eine lange Weile tiefsinnig an. Dann kratzte er sich den Stoppelkopf, grinste, nahm Loisl die Maschinenpistole weg und zeigte auf einen Bretterverschlag in der Ecke, der offensichtlich als Arrestzelle gedacht war. Loisl seinerseits zeigte auf den Klappenschrank und machte: »Rrrrr!«
Der Sergeant tat das mit einer großartigen Handbewegung ab: »To hell with it!« und zeigte abermals, diesmal mit dem Daumen, auf die Arrestzelle. Loisl zuckte ziemlich beleidigt die Schultern, ging in sein Eckchen und versuchte dort, seine 1,89 Meter auf einem Feldbett zu arrangieren, um seine versäumte Schlummerportion nachzuholen. Als er gerade einschlafen wollte, rüttelte ihn der Sergeant und gab ihm eine Tasse Kaffee. Das fand Loisl ja nun wieder nett. Er schlürfte den Kaffee und legte sich dann wieder hin. Mit einem letzten Blinzeln sah er noch, wie der Sergeant sich daranmachte, seine drei Kollegen zu wecken, indem er sie wie die Pflaumenbäume im Herbst schüttelte.
In diesem Augenblick fuhr draußen ein Wagen vor, die Tür wurde aufgerissen und gebar einen Oberleutnant im Stahlhelm, Pistole umgeschnallt, der »attention!« (Achtung) schrie. Die vier Figuren hatten noch nicht ihre Knochen gesammelt, als der Colonel in die gute Stube brauste. Er hatte die Feldmütze schief auf dem Ohr, eine gallige Gesichtsfarbe und sechs Reihen Orden. Mit einem einzigen Blick des alten Kommißlers erfaßte er die Situation einschließlich der leeren Flaschen. Der Oberleutnant nahm schweigend ein Formular aus der Tasche, und es erfolgte nun ein Austausch der Gesichtsfarben, indem der Colonel rot anlief und die vier sich gelb färbten. Sodann analysierte der Oberst fünf Minuten mit Windstärke zwölf den Charakter des Kommandos und lieferte nochmals alle fernmündlichen Bemerkungen ab, die sich infolge Filzerscher Sprachschwierigkeiten als Blindgänger erwiesen hatten. Auf diese Weise kam es, daß Loisl nach Abschluß der Aktion vom Sergeanten erfuhr, welche Köstlichkeiten militärischen Dialektes am Telefon vor ihm ausgebreitet worden waren. Nach Schluß der Ansprache setzte sich der Oberleutnant an den Bürotisch, spannte das Formular in die Schreibmaschine und begann nach dem Diktat des Obersts zu schreiben. Es waren nur vier Zeilen, aber die schienen es in sich zu haben, denn die Gesichter der vier verwandelten sich in graue Wellpappe, während sie mit zitternden Fingern ihre Uniform zuknöpften und sich die Helme aufstülpten.
Dann stand der Oberleutnant auf, um dem Oberst für die Unterschrift Platz zu machen. Der Colonel setzte sich und zog mit grimmigem Genuß den Kugelschreiber aus der Brusttasche. In diesem Augenblick bemerkte er Loisls Gamsbarthütl, das auf dem Stuhl neben dem Bürotisch lag. Der Grimm in seinem Gesicht glättete sich augenblicklich. Er legte den Kugelschreiber hin und richtete mit noch immer aufrechterhaltenem, aber offenbar nicht mehr ganz durchbetoniertem Grimm eine Frage an den Sergeanten.
Die Wellpappe auf dem Gesicht des Sergeanten verbesserte sich etwas, so daß es ungefähr einer Garnisonsmauer in der Frühsonne glich. In strammer Haltung gab er eine Reihe von Erklärungen und wies dabei auf Loisl, der, in der Tür seiner Zelle lehnend, die Vorstellung mit gemischten Gefühlen verfolgt hatte. Einerseits erfüllte ihn Genugtuung, daß ihn das alles nichts anging, andererseits taten ihm die Kumpels leid. Der Colonel wandte sich nun an Loisl und erzählte ihm eine lange Sache auf englisch, wobei er ihm das Hütl vors Gesicht hielt und dazu bittende Kinderaugen machte. Loisl begriff ungefähr, was er wollte, und sah auf seine Kumpane.
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