Alle lieben Peter
Ihre flehenden Blicke krochen ihm unter die Haut, und er mußte daran denken, wie der Sergeant ihm irgendwann zwischen zwölf und zwei Uhr morgens den Arm um die Schulter gelegt und die Fotos seiner Frau und Kinder gezeigt hatte. So verbeugte er sich denn ritterlich gegen den Colonel und sagte so kavaliersmäßig wie möglich: »Son of a bitch!«
Der Oberleutnant vereiste und faßte nach der Pistole, der Colonel wurde einen Augenblick rot und biß sich auf die Lippen. Dann aber machte ihn irgend etwas im Gesicht von Loisl stutzig, und er sah fragend den Sergeanten an.
Dessen Gesicht hatte sich inzwischen abermals in Wellpappe verwandelt, aber dann dämmerte etwas darin, er wies auf den Klappenschrank und gab hastig eine Erklärung ab. Der Colonel sah fragend wieder auf Loisl. Alle sahen jetzt auf ihn, und es wurde ihm ziemlich ungemütlich. Der Sergeant fragte ihn mit der Freundlichkeit, die man einem Dreijährigen entgegenbringt: »Was du meinen, was sagen, wenn du sagen >son of a bitch«
Loisl erklärte eifrig: »Son of a bitch — alles in Ordnung, alles okay, kann Hut haben!«
Aus der Brust des Sergeanten entwich der angstvoll gestaute Atem, als habe man eine Schweinsblase angestochen. Er machte eine stramme Rechtswendung zum Colonel und übersetzte. Der lief rot an, der Oberleutnant ließ die Pistole los und zauberte schnell ein Taschentuch heraus, das er sich vors Gesicht hielt. Der Colonel inzwischen blies die Backen auf und wurde nun ganz blau. Dann gab er es auf, ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen und brach in ein dröhnendes Gelächter aus. Die unteren Ränge stimmten mit Abstand ein und schließlich auch der leicht befremdete Loisl. Keuchend übersetzte ihm der Sergeant, was er da von sich gegeben hatte, und nun lachte er lauter als alle anderen. Einen Augenblick waren sie nichts als sieben Soldaten aus zwei Völkern, die sich gemeinsam halb zu Tode wieherten.
Dann aber war es beim Oberst plötzlich Schluß und eine halbe Sekunde später auch bei den anderen. Bei Obersten muß man immer auf so was gefaßt sein, Loisl wußte das. Das Gemüt von Obersten ist wie ein mit Stecknadeln durchsetzter Heuhaufen, man wirft sich ‘rein und denkt, man kann sich räkeln, und plötzlich sticht’s einen. Der Colonel wog den Hut nachdenklich in der Hand und streichelte den Gamsbart. Darauf sagte er dem Oberleutnant etwas, der schnell hinauslief und mit drei Stangen Zigaretten wiederkam. Er legte sie vor Loisl hin und sah ihn fragend an. Der Sergeant machte ihm hinter dem Rücken des Obersts Zeichen, da Loisl sie aber nicht verstand, beschloß er vorsichtshalber, gar nichts zu machen. Darauf sagte der Colonel wieder etwas, die vier spritzten nach allen Richtungen auseinander und erschienen mit weiteren Zigarettenstangen. Jetzt waren es schon zwölf. Loisl multiplizierte sie schnell mit Reichsmark, dividierte sie durch Schwarz-Butter und zog dann die Quadratwurzel in Enzian — es schwindelte ihm. Er nickte. Der Oberst haute ihn auf die Schulter, schüttelte ihm die Hand und setzte sich den Hut auf. Die Truppe war pflichtschuldigst begeistert.
»Wie du finden meinen Oberst?« fragte der Sergeant.
»Wie an Pfingstochs!« sagte Loisl treuherzig und erschrak darauf sehr. Das Wort Pfingstochs wurde von der amerikanischen Armee gewissenhaft erwogen und sogar in dem Feldlexikon >Deutsch für die Truppe< nachgeschlagen. Schließlich einigte man sich — da man es nicht fand — darauf, daß es etwas Schmeichelhaftes sei. Der Colonel, nunmehr seelisch vollkommen aufgeweicht, entdeckte Loisls Lederhose. Er zeigte darauf mit dem Ausdruck eines alten Bernhardiners, der Bauchweh hat. Der Verein signalisierte wieder, Loisl zog etwas geniert (wegen der geflickten und nicht mehr ganz sauberen Unterwäsche) die Gamsledernen aus und wurde in eine amerikanische Arbeitshose gehüllt. Drei feldgrüne Unterhosen wurden auch gleich für ihn beiseite gebracht. Der Oberst strahlte, las dann mit strengem Gesicht wieder das Formular durch, änderte drei Zeilen, strich die vierte ganz und entschwand mit seinem Oberleutnant. Bei einigen weiteren Bieren erzählten die vier dem Loisl, was sich wirklich abgespielt habe, und brachten ihn dann mit dreißig Stangen Zigaretten (für Hütl plus Hose) und fünf Flaschen Whisky im Jeep bis auf seinen Hof.
Der Oberst hatte zwar verziehen, aber das Kommando wurde abgelöst. Ein Oberst darf sich niemals von Gefühlen überwältigen lassen und muß angesichts der strategischen Situation
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